Das Fest der Zwerge
selbst existierte.
*
Als Bärbel erwachte, blickte sie sich verwundert um. Sie lag im Freien, eingepackt in warme Pelze und im Windschutz einer mächtigen Eiche, die zu Audefledas Zeiten gewiss nicht an dieser Stelle gestanden hatte. An zwei anderen Bäumen in der Nähe waren ihre Pferde angebunden und knabberten an den kahlen Zweigen.
Noch während Bärbel sich ihrer Umgebung bewusst wurde, regte Albrecht sich neben ihr und sah sie an. »Ich habe ganz seltsam geträumt!« Dann begriff auch er, dass er nicht in ihrer Schlafkammer in der Wallburg lag, und schlug das Kreuz.
»Das gibt es doch nicht, oder?«
»Doch, wir haben es erlebt. Lass uns ein Gebet sprechen für diese Menschen, dann sollten wir zusehen, wie wir zur Wallburg zurückkommen. Usch und die anderen werden uns schon schmerzlich vermissen.«
Albrecht nickte ein wenig traurig. »Es wäre unsere erste Weihnachtsfeier als Herrin und Herr der Wallburg gewesen, und wegen dieses Teufelswesens haben wir sie versäumt.«
»Es war wichtig, das Höllengeschöpf zu entlarven«, wies Bärbel ihn zurecht. Sie schälte sich aus ihren Pelzen und schlüpfte in ihre Kleidung, die säuberlich gefaltet neben dem Bett lag. Der Stoff war kalt, und sie schauderte ein wenig, doch dann wurde ihr rasch warm.
»Auf das Frühstück werden wir heute wohl verzichten müssen.« Es klang ein wenig bedauernd, gleichzeitig aber fühlte Albrecht, dass er so rasch wie möglich nach Hause wollte. Während er sich ankleidete, fiel sein Blick auf die herrlichen Pelze.
»Wir sollten sie mitnehmen. Es wäre schade, sie hier verderben zu lassen!«
»Ein vernünftiger Gedanke. Sehen wir sie als Audefledas Weihnachtsgeschenk an. Sie werden uns immer an sie und den Engländer Winfried erinnern.«
Albrecht rieb sich nachdenklich die Nase. »Winfried! Sollte es gar der heilige Bonifazius gewesen sein, dem wir geholfen haben?«
»Es mag auch andere Engländer mit diesem Namen gegeben haben«, wandte Bärbel ein. Doch auch sie fand den Gedanken aufregend, dem Apostel der Deutschen persönlich begegnet zu sein. Während Albrecht die Pferde sattelte, band sie die Pelze zusammen und keuchte im nächsten Augenblick voller Staunen auf. Unter dem Pelz, der ihr als Kopfkissen gedient hatte, lag jene kostbare Goldspange, die Audefleda am letzten Abend getragen hatte. Sie nahm das Schmuckstück in die Hand und berührte damit die Stirn. Ihr war, als würde sie durch die Jahrhunderte hindurch ihre Ahnin sehen, die andächtig der Predigt des Missionars lauschte und mit einem Mal lächelnd in ihre Richtung blickte.
Schnell schob Bärbel die Spange unter ihr Kleid und machte sich aufbruchbereit. Als Albrecht kam und das Bündel Pelze an sich nahm, um es hinter seinen Sattel zu binden, zupfte sie ihn am Ärmel.
»Wie steht es um deine Verletzungen?«
Albrecht blieb stehen, sog tief die Luft in die Lungen und schüttelte verblüfft den Kopf. »Ich spüre nichts mehr. Es ist, als wäre es nie geschehen.«
»Audefleda war eine große Heilerin«, erklärte Bärbel.
»Du aber auch.« Albrecht erinnerte sich an den warmen, kräftigenden Strom, der in der Nacht von Bärbel zu ihm herübergeflossen war, und küsste sie dankbar auf den Mund.
»So, jetzt aber nichts wie nach Hause!«, entschied er und hob sie auf ihre Stute.
*
Bärbel und Albrecht befanden sich weiter von ihrem Heim entfernt, als sie erwartet hatten, und es dauerte eine Weile, bis sie den richtigen Weg gefunden hatten. Während des Ritts schwiegen sie und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Als nach einigen Stunden die Mauern ihrer Burg vor ihnen aufragten, drehte Bärbel sich zu Albrecht um.
»So schön es auch war, ich hätte gerne mit unseren Leuten gefeiert.«
»Das werden wir beim nächsten Weihnachtsfest tun.« Albrechts Stimme klang belegt, denn bis dahin dauerte es noch ein ganzes Jahr. Er lenkte seinen Hengst auf die Straße des Marktors und sah zu seiner Verwunderung, wie alle Leute der Burg zuströmten. Als sie ihn und Bärbel sahen, winkten sie und ließen sie hochleben.
»Wenigstens freuen sich die Leute, uns zu sehen«, erklärte er und erwiderte die Grüße. Bärbel hingegen blickte mit großen Augen zur Burg hoch. Das Tor stand offen, und als sie näher kamen, fand sie den Burghof festlich geschmückt. Mägde schenkten Würzwein aus, Weihnachtsäpfel brutzelten über Holzkohlenfeuern und Vater Hieronymus' Knabenchor stimmte eben ein frommes Lied an, während der Stallknecht Kunz auf sie zulief und vor
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