Das Fest des Ziegenbocks
nicht seinen unzertrennlichen Partner. Was ist aus ihm geworden?«
Das Schweigen dauerte etliche Sekunden. Die Tischgäste hoben die Kaffeetäßchen an die Lippen, nahmen ein Schlückchen und musterten die Tischdecke, die Blumengebinde, das Kristall, den Deckenlüster. »Er ist kein Senator mehr und setzt auch keinen Fuß mehr in diesen Palast«, erklärte der Generalissimus kategorisch und mit der Langsamkeit der kalten Wut, die ihn zuweilen erfaßte. »Er lebt, aber was dieses Regime betrifft, hat er zu existieren aufgehört.«
Der ehemalige marine leerte betreten sein Glas Cognac. Er mußte an die achtzig Jahre sein, schätzte der Generalissimus. Er hatte sich prächtig gehalten mit seinem spärlichen, kurzgeschorenen Haar, seinem aufrechten, schlanken Körper ohne ein Gramm Fett, seinem faltenlosen Hals, seinen energischen Gebärden und Bewegungen. Das Spinnennetz kleiner Runzeln, das seine Lider umgab und sich auf seinem gegerbten Gesicht ausbreitete, verriet sein langes Leben. Er verzog sein Gesicht, bemüht, das Thema zu wechseln.
»Was haben Exzellenz gefühlt, als Sie den Befehl gaben, diese Tausende von illegalen Haitianern zu beseitigen?« »Frag deinen Ex-Präsidenten Truman, was er fühlte, als er den Befehl gab, die Atombombe über Hiroshima und Nagasaki abzuwerfen. Dann weißt du, was ich an jenem Abend in Dajabón gefühlt habe.«
Alle honorierten das Bonmot des Generalissimus. Die Spannung, die der ehemalige marine durch seine Erwähnung Agustín Cabrals ausgelöst hatte, verflüchtigte sich. Jetzt war es Trujillo, der das Thema wechselte: »Vor einem Monat haben die Vereinigten Staaten eine Niederlage in der Schweinebucht erlitten. Der Kommunist Fidel Castro
hat Hunderte von Expeditionsteilnehmern gefangengenom
men. Welche Folgen wird das in der Karibik haben, Simon?«
»Diese Expedition kubanischer Patrioten wurde von Präsident Kennedy verraten«, murmelte er betrübt. »Man hat sie ins Schlachthaus geschickt. Das Weiße Haus verbot die Deckung aus der Luft und die Unterstützung der Artillerie, die es ihnen zugesagt hatte. Die Kommunisten veranstalteten Zielschießen mit ihnen. Aber, gestatten Sie, Exzellenz. Ich habe mich gefreut, daß es so gekommen ist. Es wird eine Lehre für Kennedy und seine Regierung sein, die unterwandert ist von fellow travellers. Wie sagt man auf spanisch? Ja, Reisegefährten, rote Sympathisanten. Vielleicht entschließt er sich ja, ihnen den Laufpaß zu geben. Das Weiße Haus wird kein weiteres Fiasko wie in der Schweinebucht wollen. Das rückt die Gefahr, daß es marines in die Dominikanische Republik schickt, in weite Ferne.«
Bei den letzten Worten wurde der ehemalige marine von Rührung erfaßt und bemühte sich merklich, die Fassung zu bewahren. Trujillo war überrascht: Wäre sein alter Ausbilder bei der Vorstellung, seine Waffengefáhrten könnten landen, um das dominikanische Regime zu stürzen, beinahe in Tränen ausgebrochen? »Verzeihen Sie die Schwäche, Exzellenz«, murmelte Simon Gittleman, der sich allmählich wieder faßte. »Sie wissen, daß ich dieses Land liebe, als wäre es mein eigenes.«
»Dieses Land ist dein eigenes, Simon«, sagte Trujillo. »Daß Washington unter dem Einfluß der Links radikalen die marines ausschicken könnte, um den Regierungschef zu bekämpfen, der den Vereinigten Staaten wie kein anderer freundschaftlich verbunden ist, erscheint mir diabolisch. Deshalb verwende ich meine Zeit und mein Geld darauf, meinen Landsleuten die Augen zu öffnen. Deshalb sind Dorothy und ich nach Ciudad Trujillo gekommen, um an der Seite der Dominikaner zu kämpfen, wenn die marines landen.«
Eine Beifallssalve, die Teller, Gläser und Bestecke klirren
ließ, begrüßte die Rede des marine. Dorothy lächelte zustimmend, solidarisch mit ihrem Ehemann. »Ihre Stimme, Mister Simon Gittleman, ist die wahre Stimme Nordamerikas«, begeisterte sich der Flüssige Verfassungsrechtler speichelsprühend. »Trinken wir auf diesen Freund, auf diesen Ehrenmann. Auf Simon Gittleman, meine Herrschaften!«
»Einen Augenblick.« Die hohe, schneidende Stimme Trujillos ließ das erhitzte Ambiente in tausend Stücke brechen. Die Tischgäste sahen ihn verwirrt an; Chirinos erstarrte mit seinem erhobenen Glas. »Auf unsere geschwisterlichen Freunde Dorothy und Simon Gittleman!« Das Paar, überwältigt, dankte lächelnd und mit kleinen Verbeugungen vor den Anwesenden.
»Kennedy wird uns die marines nicht schicken, Simon«, sagte der Generalissimus, als das
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