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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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»Jetzt gibt man uns die ganze
    Verantwortung. Falsch, völlig falsch! Die Armee gehorchte Ihrem Befehl. Wir versuchten, die Illegalen von den anderen zu trennen. Aber das Volk ließ uns nicht. Alle machten sich daran, Haitianer zu jagen. Bauern, Kaufleute und Beamte verrieten, wo sie sich versteckten, hängten sie auf und schlugen sie mit Schaufeln tot. Manchmal verbrannten sie sie auch. An vielen Orten mußte die Armee einschreiten, um den Exzessen Einhalt zu gebieten. Man haßte sie, weil sie Diebe und Plünderer waren.« »Präsident Balaguer, Sie gehörten zu denen, die nach den Ereignissen mit Haiti verhandelten«, fuhr Trujillo mit seiner Umfrage fort. »Wie viele waren es?«
    Die verhuschte kleine Gestalt des Präsidenten der Republik, der fast in seinem Stuhl versank, streckte den gütigen Kopf vor. Nachdem er die Tischgesellschaft mit dem Blick des Kurzsichtigen durch seine Brille hindurch gemustert hatte, ließ er jene sanfte, wohlklingende leise Stimme vernehmen, die bei den Dichterwettbewerben Gedichte vortrug, die Inthronisation von Senorita República Dominicana (deren Hofdichter er immer war) zelebrierte, die Menschenmengen bei Trujillos politischen Rundreisen anfeuerte oder die politischen Maßnahmen der Regierung vor der Nationalversammlung erläuterte. »Die genaue Zahl konnte nie ermittelt werden, Exzellenz.« Er sprach langsam, mit professoralem Gestus. »Vorsichtige Schätzungen bewegen sich zwischen zehn- und fünfzehntausend. Bei den damaligen Verhandlungen mit der Regierung von Haiti vereinbarten wir eine symbolische Zahl: 2 7 5 o. So würde jede betroffene Familie theoretisch hundert Pesos erhalten von den 275000 , die die Regierung Eurer Exzellenz als Geste des guten Willens und im Hinblick auf die haitianisch-dominikanische Verständigung bar bezahlt hatte. Aber dazu kam es nicht, wie Sie sich erinnern werden.«
    Er verstummte; in seinem kleinen runden Gesicht lag eine Spur von Lächeln, das seine hellen Augen hinter den dicken Brillengläsern schmaler machte. »Warum gelangte diese Entschädigung nicht zu den Familien?« fragte Simon Gittleman.
    »Weil der Präsident von Haiti, Sténio Vincent, der ein Gauner war, das Geld behalten hat.« Trujillo brach in schallendes Lachen aus. »Es wurden nur 275000 bezahlt? Soweit ich mich erinnere, hatten wir 750000 Dollar vereinbart, damit sie zu protestieren aufhörten.« »In der Tat, Exzellenz«, erwiderte Dr. Balaguer sofort. Seine Ausdrucksweise war unverändert gelassen, perfekt. »Es wurden 750000 Pesos vereinbart, aber nur 275000 in bar. Die übrige halbe Million sollte in jährlichen Zahlungen von hunderttausend Pesos erfolgen, fünf Jahre lang. Ich erinnere mich jedoch genau, ich war damals Außenminister per interim, daß ich gemeinsam mit Don Anselmo Paulino, der mich bei der Verhandlung beriet, eine Klausel durchsetzte, nach der die Geldzahlungen an die Vorlage der in den zwei ersten Wochen des Monats Oktober 1937 ausgestellten Sterbeurkunden der 2750 anerkannten Opfer vor einem internationalen Gericht geknüpft waren. Haiti hat diese Bedingung nie erfüllt. Deshalb wurde die Dominikanische Republik von der Zahlung der Restsumme befreit. Die Reparationen betrugen nur den anfänglich geleisteten Betrag. Exzellenz beglichen ihn aus Ihrem Vermögen, so daß die Sache den Staat nicht einen Centavo kostete.«
    »Eine lächerliche Summe für ein Problem, das uns hätte vernichten können«, schloß Trujillo, plötzlich ernst. »Es stimmt, es starben einige Unschuldige. Aber wir Dominikaner haben unsere Souveränität zurückgewonnen. Seitdem sind unsere Beziehungen mit Haiti ausgezeichnet, Gottseidank.«
    Er wischte sich über den Mund und trank einen Schluck Wasser. Man hatte begonnen, den Kaffee zu servieren und Spirituosen anzubieten. Er trank keinen Kaffee und niemals Alkohol beim Mittagessen, außer in San Cristóbal, auf seinem Landgut Hacienda Fundación oder im Mahagonihaus, im kleinsten Kreis. Zwischen die Bilder jener blutigen Wochen im Oktober 1937, als die Nachricht des schrecklichen Ausmaßes, das die Jagd auf die Haitianer an der Grenze, im ganzen Land genommen hatte, in sein Amtszimmer gelangte, schob sich abermals die scheußliche, dumme, perplexe kleine Gestalt dieses Mädchens, das Zeugin seiner Demütigung geworden war. Er fühlte sich verhöhnt.
    »Wo ist eigentlich der Senator Agustín Cabral, der berühmte Cerebrito?« Simon Gittleman wies auf den Flüssigen Verfassungsrechtler: »Ich sehe den Senator Chirinos, aber

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