Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
das er sich erlauben konnte –, die subtilen Manöver, hinterhältigen Dolchstöße, florentinischen Intrigen zu beobachten, die der Lebende Dreck und Cerebrito gegeneinander ins Werk setzten – aber auch Virgilio Alvarez Pina und Paíno Pichardo, Joaquín Balaguer und Fello Bonnelly, Modesto Díaz und Vicente Tolentino Rojas und alle, die dem engsten Kreis angehörten – , um den Freund zu verdrängen, sich selbst vorzudrängen, dem Chef näher und eines Mehrs an Aufmerksamkeit, Gehör und Scherzen würdig zu sein. ›Wie die Frauen im Harem, die alles daransetzen, die Favoritin zu sein‹, dachte er. Und um sie immer auf dem qui vive zu halten, um erstarrte, routinemäßige, regellose Verhältnisse zu vermeiden, ließ er innerhalb der Hierarchie abwechselnd den einen oder den anderen in Ungnade fallen. Das hatte er mit Cabral getan; er hatte ihn entfernt, ihm bewußt gemacht, daß er alles, was er war, was er zählte und besaß, Trujillo verdankte, daß er ohne den Wohltäter niemand war. Eine Prüfung, der er seine sämtlichen nahen oder fernen Mitarbeiter unterzogen hatte. Cerebrito hatte es übelgenommen und verzweifelt reagiert, wie eine verliebte Frau, die von ihrem Mann den Laufpaß bekommt. Jetzt wollte er die Dinge vor dem angemessenen Zeitpunkt regeln und schoß einen Bock nach dem anderen. Er würde viel Scheiße schlucken müssen, bevor er seine Existenz wiedererlangte. Hatte Cabral, der wußte, daß Trujillo dem ehemaligen manne einen Orden verleihen würde, diesen womöglich gebeten, ein gutes Wort für ihn einzulegen? War das der Grund dafür, daß der ehemalige marine sich vertan und den Namen einer Person genannt hatte, von der jeder Dominikaner, der das Öffentliche Forum las, wußte, daß er die Gunst des Regimes verloren hatte? Nun ja, vielleicht las Simon Gittleman El Caribe nicht.
    Plötzlich gefror ihm das Blut: er urinierte. Er spürte es, ihm war, als sähe er, wie die gelbe Flüssigkeit – ohne das nutzlose Ventil, die tote Prostata, die unfähig war, sie einzudämmen, um Erlaubnis zu bitten – aus der Blase in seine Harnröhre rann, sie munter durchlief und auf der Suche nach Luft und Licht durch seine Unterhose, seinen Hosenschlitz und den Schritt der Hose ins Freie drängte. Ihm schwindelte. Er schloß einige Sekunden vor Empörung und Ohnmacht die Augen. Zu allem Unglück saß statt Virgilio Álvarez Pina zu seiner Rechten Dorothy Gittleman und zu seiner Linken Simon, die ihm nicht helfen konnten. Virgilio wohl. Er war Präsident der Dominikanischen Partei, aber seit Doktor Puigvert, den er heimlich aus Barcelona hatte kommen lassen, die verfluchte Prostatainfektion diagnostiziert hatte, bestand seine eigentliche Funktion darin, rasch zu
    handeln, wenn es zu diesen Fällen von Inkontinenz kam, ein Glas Wasser oder Wein über den Wohltäter zu schütten und dann tausendmal um Entschuldigung für sein Ungeschick zu bitten oder, wenn es auf einer Tribüne oder während eines Spaziergangs geschah, sich wie ein Schutzschild vor die befleckte Hose zu stellen. Aber die Idioten vom Protokoll hatten Virgilio Älvarez vier Stühle von ihm entfernt plaziert. Niemand konnte ihm helfen. Er würde sich beim Aufstehen der entsetzlichen Demütigung aussetzen, vor dem Ehepaar Gittleman und anderen Gästen wie ein alter Mann dazustehen, der sich, ohne es zu merken, in die Hosen gepinkelt hatte. Vor lauter Wut konnte er sich nicht bewegen und tun, als wollte er trinken, um dann das Glas oder den Krug, die vor ihm standen, umzuwerfen.
    Ganz langsam, mit einem zerstreuten Blick in die Runde, streckte er seine rechte Hand zu dem mit Wasser gefüllten Glas aus. In Zeitlupe holte er es heran, bis es am Tischrand stand, so daß die geringste Bewegung es umstoßen würde. Er mußte plötzlich daran denken, daß seine älteste Tochter Flor de Oro, das erste, in Aminta Ledesma geborene Kind seiner ersten Frau, dieser Verrückten mit dem Körper einer Frau und der Seele eines Mannes, die ihre Ehemänner wie die Schuhe wechselte, noch als Schulmädchen ins Bett gemacht hatte. Er fand den Mut, einen weiteren forschenden Blick auf die Hose zu werfen. Statt des peinlichen Anblicks, des Flecks, den er erwartet hatte, stellte er fest – sein Sehvermögen war nach wie vor phänomenal, wie sein Gedächtnis – , daß sein Hosenschlitz und der Schritt trocken waren. Völlig trocken. Es war ein falscher Eindruck gewesen, Folge der Furcht, der panischen Angst, ihm könnte die Blase platzen, wie man von den Gebärenden

Weitere Kostenlose Bücher