Das Fest des Ziegenbocks
Estrella Mama Paulina entführte, mit sich nach Moca nahm, mit vorgehaltener Pistole den Pfarrer herbeischleppte und ihn zwang, sie zu trauen. Mit der Zeit
versöhnten sich die Sadhalás und die Estrellas. Als Mama Paulina 1936 starb, waren die Geschwister Estrella Sadhalá zehn an der Zahl. General Piro Estrella brachte es fertig, sieben weitere Kinder in seiner zweiten Ehe zu zeugen, so daß der Türke sechzehn eheliche Geschwister hatte. Was würde mit ihnen geschehen, wenn die Sache heute abend schiefginge? Was würde vor allem mit seinem Bruder Guaro geschehen, der nichts davon wußte? General Guarionex Estrella Sadhalá war Chef von Trujillos Militäradjutanten gewesen und befehligte gegenwärtig die Zweite Brigade in La Vega. Wenn die Verschwörung scheiterte, wären die Vergeltungsmaßnahmen erbarmungslos. Warum sollte sie scheitern? Sie war sorgfältig vorbereitet. Sobald sein Vorgesetzter, General José René Roman, ihm mitgeteilt hätte, daß Trujillo tot war und daß eine militärisch-zivile Junta die Macht übernahm, würde Guarionex sämtliche Streitkräfte des Nordens in den Dienst der neuen Regierung stellen. Würde er das tun? Wieder wurde Salvador vor lauter Warten von Mutlosigkeit erfaßt.
Er schloß halb die Augen und betete, ohne die Lippen zu bewegen. Er machte es mehrmals am Tag, mit lauter Stimme nach dem Aufstehen und vor dem Zubettgehen und stumm, wie jetzt, die anderen Male. Vaterunser und Avemarias, aber auch Gebete, die er je nach den Umständen improvisierte. Seit jungen Jahren war er daran gewöhnt, Gott die großen und kleinen Probleme mitzuteilen, ihm seine Geheimnisse anzuvertrauen und ihn um Rat zu fragen. Er bat ihn, Trujillo möge kommen und er möge ihnen in seiner unendlichen Gnade erlauben, den Henker der Dominikaner, diese Bestie, die sich jetzt gegen die Kirche des Herrn und ihre Hirten verging, endlich ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Bis vor einiger Zeit war der Türke unentschlossen gewesen, was den Mord an Trujillo betraf; aber seitdem er das Zeichen erhalten hatte, konnte er zum Herrn mit gutem Gewissen vom Tyrannenmord sprechen. Das Zeichen war jener Satz gewesen, den der Nuntius seiner Heiligkeit ihm vorgelesen hatte. Es war Pater Fortín zu danken, einem kanadischen Priester,
der sich in Santiago niedergelassen hatte, daß Salvador jenes Gespräch mit Monsignore Lino Zanini führen konnte, dank dessen er jetzt hier war. Viele Jahre lang war Pater Cipriano Fortín sein Beichtvater gewesen. Ein- oder zweimal im Monat führten sie lange Gespräche, bei denen der Türke ihm sein Herz und sein Gewissen aufschloß; der Priester hörte ihm zu, antwortete auf seine Fragen und legte ihm seine eigenen Zweifel dar. Unmerklich schoben sich bei diesen Gesprächen mit der Zeit die politischen Dinge vor die persönlichen. Warum unterstützte die Kirche des Herrn ein blutbeflecktes Regime? Wie war es möglich, daß die Kirche mit ihrer moralischen Autorität einen Herrscher deckte, der entsetzliche Verbrechen beging? Der Türke erinnerte sich an die Verlegenheit Pater Fortíns. Die Erklärungen, die er vorbrachte, überzeugten ihn selbst nicht: Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist. Existiert eine solche Trennung für Trujillo überhaupt, Pater Fortín? Geht er nicht zur Messe, erhält er nicht den Segen und die geweihte Hostie? Gibt es nicht Messen, Lobgesänge, Segen für sämtliche Werke der Regierung? Heiligen nicht tagtäglich Bischöfe und Priester die Taten der Tyrannei? In welche Situation brachte die Kirche die Gläubigen durch ihre Identifikation mit Trujillo? Seit jungen Jahren hatte Salvador erfahren, wie schwierig, wie unmöglich es bisweilen für ihn war, sich im täglichen Verhalten von den Geboten seiner Religion leiten zu lassen. Seine Grundsätze und Überzeugungen hatten ihn bei aller Festigkeit nicht von nächtlichen Ausschweifungen und von den Frauen ferngehalten. Nie würde er genug bereuen, daß er vor der Heirat mit seiner jetzigen Frau, Urania Mieses, zwei uneheliche Kinder gezeugt hatte. Das waren Verfehlungen, die ihn beschämten, die er zu sühnen versucht hatte, wenn auch ohne sein Gewissen beruhigen zu können. Ja, es war sehr schwierig, Christus im alltäglichen Leben nicht zu beleidigen. Er, ein armer Sterblicher, von der Ursünde gezeichnet, war der Beweis für die angeborenen Schwächen des Menschen. Aber wie konnte die Kirche, die sich von Gott herleitete, so sehr irren, daß sie einen gottlosen Menschen unterstützte? Bis
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