Das Fest des Ziegenbocks
Konfrontation mit den Vereinigten Staaten und der OAS war er noch zu den Mätzchen aufgelegt, wie er sie in der Vergangenheit
gepflegt hatte, als er sich allmächtig und unbedroht fühlte?
Waren das Zeiten für Zirkusnummern?
»Am Telefon, Don Agustín.«
Er hob den Hörer und wartete einige Sekunden, bevor er
sprach.
»Habe ich dich geweckt, Panchito?«
»Wie kommst du darauf, Cerebrito.« Die Stimme des Journalisten war wie immer. »Ich bin Frühaufsteher, ich halte es wie die Kapaune. Und ich schlafe mit einem offenen Auge, für alle Fälle. Was gibt’s?«
»Na ja, wie du dir denken kannst, rufe ich dich wegen des Briefes heute morgen im Öffentlichen Forum an«, sagte der Senator mit belegter Stimme. »Kannst du mir dazu was sagen?«
Die Antwort kam im gleichen leichten, spöttischen Tonfall,
als handelte es sich um eine Bagatelle.
»Er kam eingeschrieben, Cerebrito. Ich hätte so etwas
nicht
veröffentlicht, ohne Erkundigungen einzuziehen. Glaub mir, angesichts unserer Freundschaft hat es mich nicht gefreut, ihn zu veröffentlichen.«
›Ja, ja, natürlich‹, murmelte er bei sich. Er durfte nicht einen Moment seine Gelassenheit verlieren. »Ich habe die Absicht, diesen Verleumdungen entgegenzutreten«, sagte er sanft. »Ich bin nicht abgesetzt worden. Ich rufe dich von der Senatspräsidentschaft an. Und dieser angebliche Ausschuß zur Untersuchung meiner Amtsführung im Ministerium für öffentliche Bauten ist eine weitere Ente.«
»Schick mir deine Gegendarstellung so rasch wie möglich zu«, erwiderte Panchito. »Ich werde tun, was ich kann, um sie zu veröffentlichen, das wäre ja noch schöner. Du weißt, wie sehr ich dich schätze. Ich bin ab vier Uhr in der Redaktion. Ein Kuß für Uranita. Mach’s gut, Agustín.« Nachdem er aufgelegt hatte, kamen ihm Zweifel. Hatte er gut daran getan, den Direktor von El Caribe anzurufen? War das nicht ein falscher Schritt, der seine Sorge verriet? Was hätte der ihm anderes sagen können: Er empfing die Briefe für das Öffentliche Forum direkt aus dem Regierungspalast und veröffentlichte sie, ohne Fragen zu stellen. Er schaute auf seine Uhr: Viertel vor neun. Er hatte Zeit; die Sitzung des Senatspräsidiums war um halb zehn. Er diktierte Isabelita die Gegendarstellung mit der gleichen Nüchternheit und Klarheit, mit der er seine Schriften verfaßte. Ein kurzer, trockener, fulminanter Brief: er war nach wie vor Präsident des Senats, und niemand hatte seine gewissenhafte Amtsführung im Ministerium für öffentliche Bauten in Frage gestellt, das ihm seinerzeit von der Regierung anvertraut wurde, an deren Spitze der Dominikaner par excellence steht, Generalissimus Rafael Leónidas Trujillo, Wohltäter und Vater des Neuen Vaterlandes.
Als Isabelita ging, um das Diktat mit der Maschine abzu
schreiben, trat Paris Goico in das Büro.
»Die Sitzung des Präsidiums des Senats ist abgesagt, Herr
Präsident.«
»Ohne mich zu konsultieren? Von wem?« ‘
»Vom Vizepräsidenten des Kongresses, Don Agustín. Er
selbst hat es mir soeben mitgeteilt.«
Er wog ab, was er gerade gehört hatte. Konnte das eine ganz andere Ursache haben und gar nicht mit dem Brief im Öffentlichen Forum zusammenhängen? Der betrübte Parisito stand wartend vor dem Schreibtisch. »Ist Dr. Quintana in seinem Büro?« Da sein Adlatus nickte, stand er auf. »Sagen Sie ihm, ich komme gleich.« »Es ist unmöglich, daß du dich nicht erinnerst, Uranita«, sagt ihre Tante Adelina in mahnendem Tonfall. »Du warst vierzehn Jahre alt. Das war das schlimmste Ereignis in der Familie, schlimmer noch als der Unfall, bei dem deine Mama starb. Hast du denn gar nichts gemerkt?« Sie hatten Kaffee und Kräutertee getrunken. Urania nahm ein Stück Maiskuchen. Sie plauderten am Tisch des Eßzimmers, im trüben Licht der kleinen Stehlampe. Das haitianische Dienstmädchen, still wie eine Katze, hatte das Geschirr abgeräumt.
»Natürlich erinnere ich mich an Papas Angst, Tante«,
erklärt Urania. »Die Einzelheiten, die täglichen Vorkommnisse weiß ich nicht mehr. Er versuchte, es vor mir zu verbergen, am Anfang. ›Es gibt Probleme, Uranita, aber bestimmt klären sie sich bald.‹ Nie hätte ich gedacht, daß mein Leben von da an diese Wendung nehmen würde.«
Sie spürt, wie die Blicke ihrer Tante, ihrer Cousinen und ihrer Nichte sie verbrennen. Lucinda sagt, was sie denken: »Etwas Gutes hat es für dich gehabt, Uranita. Du wärst nicht da, wo du bist, wenn es anders gekommen wäre. Für uns dagegen war es
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