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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Kleidung, das Gesicht zerstört, in einer Blutlache auf dem Pflaster lag. Die Bestie, tot. Er hatte
    keine Zeit, dem Himmel zu danken, er hörte rasche Schritte und war sicher, daß er Schüsse vernahm, dort, hinter dem Auto Trujillos. Ohne zu überlegen, hob er den Revolver und schoß, überzeugt, daß es caliés waren, Militäradjutanten, die dem Chef zu Hilfe eilten, und dann hörte er ganz nah Pedro Livio Cedeno wimmern, den seine Schüsse getroffen hatten. Es war, als täte sich die Erde auf, als entstiege diesem Abgrund das Gelächter des Bösen und lachte ihm ins Gesicht.

    XIII

    »Willst du wirklich nicht noch ein bißchen Maiskuchen?« drängt Tante Adelina liebevoll. »Greif zu. Als kleines Mädchen wolltest du immer Maiskuchen von mir, wenn du herkamst. Magst du ihn nicht mehr?« »Natürlich mag ich ihn, Tante«, beteuert Urania. »Aber ich habe noch nie im Leben so viel gegessen, ich werde kein Auge zutun können.«
    »Na schön, lassen wir ihn hier stehen, für den Fall, daß du später Lust bekommst«, sagt Tante Adelina resigniert. Die Festigkeit ihrer Stimme und die Klarheit ihres Geistes bilden einen Gegensatz zu ihrem körperlichen Verfall: eingeschrumpft, fast kahl – zwischen den weißen Haarsträhnen ist die Kopfhaut zu sehen –, das Gesicht von tausend Runzeln durchzogen, trägt sie ein künstliches Gebiß, das sich bewegt, wenn sie ißt oder spricht. Ein Häufchen Frau, halb verloren im Schaukelstuhl, in den Lucinda, Manolita, Marianita und das haitianische Dienstmädchen sie gesetzt haben, nachdem sie sie aus dem Oberstock heruntergetragen hatten. Ihre Tante hatte darauf bestanden, mit der Tochter ihres Bruders Agustín, die plötzlich nach so vielen Jahren wieder aufgetaucht war, im Eßzimmer zu Abend zu essen. Ist sie älter oder jünger als ihr Vater? Urania kann sich nicht erinnern. Sie spricht energisch, und in ihren kleinen, tiefliegenden Augen funkelt Intelligenz, ›lch hätte sie nie wiedererkannt, denkt Urania. Auch nicht Lucinda und am allerwenigsten Manolita, die sie zum letzten Mal gesehen hatte, als sie elf oder zwölf Jahre alt war und die jetzt eine vorzeitig gealterte Frau ist, mit faltigem Gesicht und schlecht gefärbtem Haar, dessen bläuliches Schwarz ziemlich spießig wirkt. Marianita, ihre Tochter, muß um die zwanzig sein: schmal, sehr blaß, das Haar ganz kurz und traurige Augen. Sie wendet den Blick nicht von Urania, wie gebannt. Was mochte ihre Nichte über sie gehört haben?
    »Einfach unglaublich, daß du es bist, daß du hier bist.« Tante
    Adelina schaut sie mit ihren durchdringenden Augen an. »Ich habe nie gedacht, daß ich dich wiedersehen würde.« »Du siehst ja, Tante, hier bin ich. Und ich freue mich.« »Ich auch, mein Liebes. Und eine noch größere Freude wirst du Agustín gemacht haben. Mein Bruder hatte sich damit abgefunden, daß er dich nicht wiedersehen würde.« »Ich weiß nicht, Tante.« Urania ist auf der Hut, ahnt die Vorwürfe, die indiskreten Fragen. »Ich war den ganzen Tag bei ihm, und keinen Augenblick kam es mir vor, als würde er mich erkennen.«
    Ihre beiden Cousinen reagieren einstimmig: »Natürlich hat er dich erkannt, Uranita«, erklärt Lucinda. »Da er nicht sprechen kann, merkt man es nicht«, bestätigt Manolita. »Aber er versteht alles, sein Kopf ist völlig heil.« »Er ist noch immer ein Köpfchen«, sagt Tante Adelina lachend.
    »Wir wissen das, weil wir ihn jeden Tag sehen«, bekräftigt Lucinda. »Er hat dich erkannt, und du hast ihn glücklich ge
    macht mit deinem Besuch.« »Hoffentlich.«
    Ein Schweigen, das anhält, Blicke, die sich über den alten Tisch dieses engen Eßzimmers hinweg kreuzen, in dem eine gläserne Anrichte steht, die Urania vage wiedererkennt, und kleine religiöse Bilder in einem verblaßten Grün an den Wänden hängen. Auch hier ist ihr nichts vertraut. In ihrer Erinnerung war das Haus ihrer Tante Adelina und ihres Onkels Aníbal, in das sie kam, um mit Manolita und Lucinda zu spielen, groß, hell, elegant und luftig, und das hier ist eine Höhle, vollgestopft mit deprimierenden Möbeln.
    »Die gebrochene Hüfte hat mich für immer von Agustín getrennt.« Die kleine Faust mit den von der Sklerose verformten Fingern fährt durch die Luft. »Vorher habe ich Stunden mit ihm verbracht. Wir führten lange Gespräche. Ich mußte ihn nicht sprechen hören, um zu verstehen, was er mir sagen wollte. Mein armer Bruder! Ich hätte ihn zu mir genommen. Aber wohin mit ihm in diesem Rattenloch?« Sie

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