Das Fest des Ziegenbocks
die Katastrophe.« »Für meinen armen Bruder mehr als für jeden anderen«, sagt Tante Adelina anklagend. »Sie haben ihm einen Dolchstoß versetzt und ihn dreißig Jahre lang verbluten lassen.«
Plötzlich kreischt ein Papagei über dem Kopf Uranitas und erschreckt sie. Sie hatte das Tier bisher nicht bemerkt; es bewegt sich mit gesträubten Federn in seinem großen Holzkäfig mit blauen Gitterstäben hin und her. Ihre Tante, ihre Cousinen und ihre Nichte brechen in Lachen aus. »Samson«, stellt Manolita ihn vor. »Er führt sich so auf, weil wir ihn geweckt haben. Er ist eine Schlafmütze.« Dank dem Papagei entspannt sich die Atmosphäre. »Ich bin sicher, ich würde eine Menge Geheimnisse erfahren, wenn ich verstehen könnte, was er sagt«, scherzt Urania, während sie auf Samson zeigt. Dem Senator Agustín Cabral ist nicht nach Lächeln zumute. Er antwortet mit einem mürrischen Neigen des Kopfes auf den zuckersüßen Gruß des Vizepräsidenten des Senats, Dr. Jeremías Quintana, in dessen Büro er gerade gefegt ist, und fährt ihn ohne Umschweife an: »Warum hast du die Sitzung des Senatspräsidiums abgesagt? Ist das nicht Sache des Präsidenten? Ich verlange eine Erklärung.«
Das volle, kakaofarbene Gesicht des Senators »Quintanilla« nickt mehrmals, während seine Lippen sich bemühen, ihn in einem wohlklingenden, fast musikalischen Spanisch zu beruhigen:
»Selbstverständlich, Cerebrito. Reg dich nicht auf. Alles hat seinen Grund, nur nicht der Tod.«
Er ist ein rundlicher, sechzigjähriger Mann mit wulstigen Augenlidern und feuchtem Mund, bekleidet mit einem blauen Anzug und einer schimmernden Krawatte mit silbernen Streifen. Er lächelt hartnäckig; Agustín Cabral sieht, wie er sich die Brille abnimmt, ihm zuzwinkert, einen raschen Blick in die Runde wirft, einen Schritt auf ihn zu macht, ihn am Arm faßt und ihn fortzieht, während er mit sehr lauter Stimme zu ihm sagt:
»Setzen wir uns hierhin, da haben wir es bequemer.« Aber er führt ihn nicht zu den Sesseln mit schweren Tigerfüßen, die in seinem Büro stehen, sondern zu einem Balkon mit angelehnter Tür. Er zwingt ihn, mit ihm hinauszutreten, so daß sie im Freien sprechen können, im Angesicht des rauschenden Meeres, fern von indiskreten Ohren. Die Sonne brennt stark; der helle Morgen brodelt vor Motor- und Hupgeräuschen, die von der Uferpromenade kommen und sich mit den Rufen der Straßenverkäufer mischen.
»Was zum Teufel ist los, Affe?« murmelt Cabral. Quintana hält ihn noch immer am Arm gefaßt, und jetzt ist er sehr ernst. Er bemerkt in seinem Blick ein diffuses Gefühl, das Solidarität oder Mitleid anzeigt. »Du weißt ganz genau, was los ist, Cerebrito, spiel nicht den Dummen. Hast du nicht gemerkt, daß sie vor drei oder vier Tagen aufgehört haben, dich in den Zeitungen distinguido caballero zu nennen, daß sie dich zum senor herabgestuft haben?« murmelt der Affe Quintanilla ihm ins Ohr. »Hast du heute morgen nicht El Carìbe gelesen? Das ist los.«
Zum ersten Mal, seit er den Brief im Öffentlichen Forum gelesen hat, fühlt Agustín Cabral Angst. Richtig: gestern oder vorgestern hatte jemand im Country Club sich scherzhaft darüber geäußert, daß die Gesellschaftsseite von La Nación ihn des »distinguido Caballeros beraubt hatte, was gewöhnlich ein böses Vorzeichen war: den Generalissimus amüsierten diese Warnsignale. Die Sache war ernst. Das war ein Sturm. Er mußte seine ganze Erfahrung und List aufbieten, damit der ihn nicht hinwegfegte.
»Kam der Befehl, die Sitzung des Senatspräsidiums abzusagen, vom Palast?« flüstert er. Der Vizepräsident beugt sich hinunter, hält sein Ohr dicht an Cabrals Mund. »Woher sollte er sonst kommen? Das ist noch nicht alles. Sämtliche Ausschüsse, denen du angehörst, werden suspendiert. In der Direktive heißt es: ›Bis die Verhältnisse des Senatspräsidenten geordnet sind.‹ Er ist sprachlos. Es ist geschehen. Es geschieht genau der Alptraum, der bisweilen einen Schatten auf seine Triumphe, seine Beförderungen, seine politischen Erfolge geworfen hatte: sie haben ihn mit dem Chef entzweit. »Wer hat sie dir übermittelt, Affe?«
Das pausbäckige Gesicht Quintanas zieht sich beunruhigt zusammen, und Cabral begreift auf einmal, woher das mit dem Affen kommt. Wird der Vizepräsident ihm sagen, daß er diesen Vertrauensbruch nicht begehen kann? Plötzlich entschließt er sich:
»Henry Chirinos.« Er faßt ihn wieder am Arm. »Es tut mir leid, Cerebrito. Ich glaube
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