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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Menschen wimmelnden Straßen des Kolonialviertels fährt, zwischen ein- oder zweistöckigen Häusern mit Fenstergittern und steinernen Sok-keln, sagt er sich, daß die Sache schlimmer ist, als er angenommen hatte. Wenn Johnny Abbes ihn verfolgen läßt, dann ist vielleicht die Entscheidung gefallen, ihn zu verhaften. Eine Neuauflage der Geschichte Anselmo Paulinos. Was er so sehr gefürchtet hatte. Sein Gehirn arbeitet wie ein Hammer auf einem Amboß. Was hatte er getan? Was hatte er gesagt? Wo hatte er gefehlt? Wen hatte er in der letzten Zeit gesehen? Sie behandelten ihn wie einen Regimefeind. Ihn, ihn!
    Das Auto stoppte an der Salomé Urena Ecke Duarte, und Teodosio stieg aus, um ihm die Tür zu öffnen. Die Wanne parkte wenige Meter entfernt, aber kein calié stieg aus. Er war versucht, sich zu nähern und sie zu fragen, warum sie dem Präsidenten des Senats folgten, aber er hielt sich zurück. Was nützte es, ein paar arme Teufel zu provozieren, die Befehlen gehorchten? Das alte, zweistöckige Haus des Senators Henry Chirinos mit seinem Balkon aus der Kolonialzeit und Fenstern mit Gitterläden ähnelte seinem Besitzer; Zeit, Alter und Vernachlässigung hatten ihm zugesetzt, es asymmetrisch gemacht: es war in der mittleren Höhe übermäßig in die Breite gegangen, als wäre ihm ein Bauch gewachsen und als wollte es platzen. Es mußte in fernen Zeiten ein vornehmes, ansehnliches Gebäude gewesen sein; jetzt war es schmutzig, verwahrlost und schien kurz vor dem Einsturz zu stehen. Flecken und abgeblätterte Stellen entstellten die Wände, vom Dach hingen Spinnweben herab. Die Tür ging auf, kaum daß er geklingelt hatte. Er stieg eine finstere, knarrendeTreppe mit speckigem Handlauf hinauf, und auf dem ersten Absatz öffnete ihm der Diener eine quietschende Tür mit Glasscheiben. Er erkannte die reichbestückte Bibliothek, die schweren Samtvorhänge, hohe Regale voller Bücher, den dicken, verblaßten Teppich, die ovalen Bilder und die silbernen Fäden der Spinnweben, die von den Lanzen des Sonnenlichts aufgespießt wurden, das durch die Fensterläden hereinsickerte. Es roch nach alt, nach ranzigen Ausdünstungen, es herrschte eine Höllenhitze. Er wartete stehend auf Chirinos. Wie oft war er hier gewesen in all den Jahren, bei Treffen, Vereinbarungen, Verhandlungen, Verschwörungen im Dienst des Chefs. »Willkommen in deinem Haus, Cerebrito. Ein Sherry? Süß oder trocken? Ich empfehle dir den Amontillado, er ist schön kühl.«
    Der Senator Chirinos, im Pyjama und in einem spektakulären Morgenmantel aus grünem Stoff mit Seidenpaspeln, der die Rundungen seines Körpers betonte, ein bauschiges Tuch in der Brusttasche und mit Samtpantoffeln, die durch seine Hühneraugen aus der Form geraten waren, lächelte ihn an. Das spärliche, wirre Haar und sein schuppiges, geschwollenes Gesicht mit den dunkelvioletten Augenlidern und Lippen, die ein Rand getrockneten Speichels säumte, verrieten dem Senator Cabral, das er sich noch nicht gewaschen hatte. Er ließ sich auf die Schulter klopfen und zu den alten Sesseln mit Leinendeckchen auf der Rückenlehne führen, ohne auf die Suada des Hausherrn zu antworten.
    »Wir kennen uns seit vielen Jahren, Henry. Wir haben vieles zusammen gemacht. Gutes und auch mal Schlechtes. Es gibt in der Regierung nicht noch einmal zwei Menschen, die so eng verbunden waren, wie du und ich. Was ist los? Warum stürzt seit heute morgen der Himmel über mir ein?«
    Er mußte sich unterbrechen, weil der Diener in den Raum trat, ein alter, einäugiger Mulatte, genauso häßlich und ungepflegt wie der Hausherr, mit einem kleinen Glaskrug, in den er den Sherry gegossen hatte, und zwei Gläsern. Er stellte alles auf den kleinen Tisch und zog sich hinkend zurück.
    »Ich weiß es nicht.« Der Flüssige Verfassungsrechtler schlug sich gegen die Brust. »Du wirst mir nicht glauben. Du wirst denken, daß ich geplant, betrieben, geschürt habe, was dir passiert. Beim Andenken meiner Mutter, beim Heiligsten dieses Hauses, ich weiß es nicht. Seit ich es gestern nachmittag erfahren habe, bin ich sprachlos. Warte, warte, laß uns anstoßen. Darauf, daß diese Sache bald geklärt wird, Cerebrito!«
    Er sprach lebhaft und leidenschaftlich, aus tiefstem Herzen
    und mit der schmalzigen Gefühligkeit der Helden der Hörspielserien, die der Sender HIZ vor der Castro-Revolution von Radio CMQ in Havanna importiert hatte. Doch Agustín Cabral kannte ihn: er war ein vollendeter Schauspieler. Es konnte wahr oder unwahr

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