Das Fest des Ziegenbocks
spricht voll Wut.
»Der Tod Trujillos war der Anfang vom E,nde für die Familie«, seufzt Lucindita. Sie besinnt sich gleich. »Entschuldige. Du haßt Trujillo, nicht wahr?« »Das hatte schon vorher begonnen«, berichtigt sie Tante Adelina, und Urania vernimmt ihre Worte mit Interesse. »Wann, Großmutter?« fragt die älteste Tochter Lucindas mit schwacher Stimme.
»Mit dem Brief im Öffentlichen Forum, ein paar Monate bevor sie Trujillo umbrachten«, erklärt Tante Adelina bestimmt; ihre kleinen Augen bohren sich ins Leere. »Im Januar oder Februar 61. Wir haben deinem Papa Bescheid gesagt, früh am Morgen. Aníbal war der erste, der ihn gelesen hat.«
»Ein Brief im Öffentlichen Forum?« Urania forscht einen Augenblick in ihrer Erinnerung. »Ach, ja.« »Ich nehme an, es hat nichts zu bedeuten, ich nehme an, eine Dummheit, die sich klären wird«, sagte sein Schwager am Telefon; er war so aufgebracht, so vehement, er klang so falsch, daß der Senator Agustín Cabral überrascht war: Was war mit Aníbal? »Hast du El Caribe nicht gelesen?« »Sie haben sie mir eben gebracht, ich hab sie noch nicht aufgeschlagen.« Er hörte ein nervöses Hüsteln.
»Na ja, da ist ein Brief, Cerebrito.« Sein Schwager versuchte, belustigt und sorglos zu wirken. »Dummes Zeug. Klär das so bald wie möglich.«
»Danke für den Anruf«, verabschiedete sich der Senator Cabral. »Schöne Grüße an Adelina und die Mädchen. Ich komme bei euch vorbei.«
Dreißig Jahre an der Spitze der politischen Macht hatten aus Agustín Cabral einen Mann gemacht, der Erfahrung mit Unwägbarkeiten – Fallen, Hinterhalten, Tricksereien, Falschheiten – hatte; das Wissen, daß es im Öffentlichen Forum, der Rubrik von El Caribe, die am meisten gelesen und gefürchtet wurde, da sie das vom Regierungspalast gespeiste politische Barometer des Landes war, einen Brief gegen ihn gab, ließ ihn also nicht
die Nerven verlieren. Es war das erste Mal, daß er in der höllischen Kolumne erschien; andere Minister, Senatoren, Gouverneure oder Beamte waren schon von diesen Flammen verzehrt worden; er bislang nicht. Er kehrte ins Eßzimmer zurück. Seine Tochter, in Schuluniform, aß ihr Frühstück: mangú – mit Butter verrührte Banane – und gebratenen Käse. Er küßte sie aufs Haar (»Hallo, Papi«), setzte sich ihr gegenüber, und während das Dienstmädchen ihm Kaffee einschenkte, schlug er langsam, ohne Hast, die Tageszeitung auf, die zusammengefaltet in einer Ecke des Tisches gelegen hatte. Er blätterte die Seiten um, bis er zum Öffentlichen Forum gelangte.
Sehr geehrter Herr Direktor,
ich schreibe aus einem staatsbürgerlichen Impuls heraus, um die Beleidigung der dominikanischen Bürgerschaft und der uneingeschränkten Informationsfreiheit zu protestieren, die dieser Republik von der Regierung des Generalissimus Trujillo garantiert wird. Ich begehe mich auf den Umstand, daß in Ihren geachteten und viel gelesenen Seiten bislang noch nicht die allen bekannte Tatsache berichtet wurde, daß der Senator Agustín Cabral, mit dem Spitznamen Cerebrito (warum eigentlich?), von seinem Amt als Präsident des Senats enthoben wurde, da man ihm unkorrekte Amtsführung im Ministerium für öffentliche Bauten nachgewiesen hat, dem er bis vor kurzem vorstand. Es ist ebenfalls bekannt, daß diese Regierung in ihrer peinlichen Gewissenhaftigkeit, was die ehrliche Verwendung öffentlicher Mittel betrifft, einen Ausschuß zur Untersuchung der offensichtlichen Mißbräuche und Machenschaften – illegale Kommissionen, Erwerb veralteten Materials zu überhöhten Preisen, fiktive Aufblähung von Kostenvoranschlägen – eingesetzt hat, denen sich der Senator in Ausübung seines Ministeramts schuldig gemacht haben soll, um die gegen ihn vorliegenden Anschuldigungen zu prüfen. Hat das Volk Trujillos nicht das Recht, über derart gravierende Tatsachen informiert zu werden?
Hochachtungsvoll Ingenieur Telésforo Hidalgo Saíno Calle Duarte Nr. 171 Ciudad Trujillo
»Ich zisch los, Papi«, hörte der Senator Cabral und hob, ohne daß eine Regung seines Gesichts die nur scheinbare Ruhe verraten hätte, den Kopf von der Zeitung, um dem Mädchen einen Kuß zu geben. »Ich kann nicht mit dem Schulbus zurückfahren, ich bleib zum Volleyballspielen da. Ich komm dann zu Fuß, mit ein paar Freundinnen.« »Sei schön vorsichtig, wenn du über die Straße gehst, Uranita.«
Er nahm einen Schluck Orangensaft und trank eine Tasse dampfenden, frisch aufgebrühten Kaffee, ohne
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