Das Fest des Ziegenbocks
sein, er hatte keine Möglichkeit, es herauszufinden. Er nippte an seinem Sherry, leicht angewidert, denn er trank vormittags niemals Alkohol. Chirinos strich sich über die Borsten seiner Nasenlöcher. »Gestern, bei der Besprechung mit dem Chef, befahl er mir plötzlich, den Affen Quintanilla zu instruieren, er solle als Vizepräsident des Senats sämtliche Treffen absagen, bis die Vakanz der Präsidentschaft besetzt sein würde«, fuhr er gestikulierend fort. »Ich dachte an einen Unfall, einen Herzstillstand, was weiß ich. ›Was ist mit Cerebrito passiert, Chef?‹ ›Das würde ich gern wissen‹, erwiderte er mit dieser Frostigkeit, die einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. ›Er hat aufgehört, einer der unseren zu sein, und ist zum Feind übergelaufen/ Ich konnte nicht weiter fragen, sein Ton war schneidend. Er endieß mich, damit ich den Auftrag erfüllen konnte. Und heute morgen habe ich, wie alle, den Brief im Öffentlichen Forum gelesen. Ich schwör es dir noch einmal beim Andenken meiner Mutter: Das ist alles, was ich weiß.«
»Hast du den Brief im Öffentlichen Forum geschrieben?« »Ich schreibe korrektes Spanisch«, sagte der Flüssige Verfassungsrechtler empört. »Der Ignorant hat drei syntaktische Fehler gemacht. Ich habe sie angestrichen.« »Wer dann?«
Die fettgepolsterten Augenhöhlen des Senators Chirinos umfaßten ihn mit einem mideidigen Blick: »Was zum Teufel spielt das für eine Rolle, Cerebrito? Du bist einer der intelligenten Männer dieses Landes, tu nicht so dumm, ich kenne dich seit deinen jungen Jahren. Das einzige, worauf es ankommt, ist, daß du aus irgendeinem Grund den Chef verärgert hast. Red mit ihm, entschuldige dich, gib ihm Erklärungen, versprich Besserung. Erobere dir sein Vertrauen zurück.«
Er griff nach dem Glaskrug, füllte sein Glas erneut und
trank. Der Straßenlärm war weniger laut als im Kongreß. Es mochte an den dicken Mauern liegen oder daran, daß die engen Straßen des Zentrums die Autos abschreckten. »Mich entschuldigen, Henry? Was habe ich getan? Arbeite ich nicht Tag und Nacht für den Chef?« »Mir brauchst du das nicht zu sagen. Ihn mußt du überzeugen. Ich weiß das ganz genau. Laß dich nicht entmutigen. Du kennst ihn. Im Grunde ein großherziges Wesen. Mit einem inneren Gefühl für Gerechtigkeit. Wenn er nicht mißtrauisch wäre, hätte er sich nicht einunddreißig Jahre gehalten. Es gibt einen Irrtum, ein Mißverständnis. Das muß geklärt werden. Bitte ihn um eine Audienz. Er kann zuhören.«
Beim Sprechen gestikulierte er mit der Hand und ergötzte sich selbst an jedem Wort, das von seinen aschfarbenen Lippen kam. Im Sitzen wirkte er noch fetter als im Stehen; der riesige Bauch ließ den Morgenmantel auseinanderklaffen, während er sich in gemessenem Takt hob und senkte. Cabral stellte sich diese Eingeweide vor, die so viele Stunden am Tag mit der mühsamen Aufgabe beschäftigt waren, die gekauten Bissen aufzunehmen und aufzulösen, die dieses gefräßige Maul hinunterschluckte. Er bereute es, da zu sein. Würde der Flüssige Verfassungsrechtler ihm etwa helfen? Wenn er die Sache nicht eingefädelt hatte, dann feierte er sie innerlich bestimmt als
großen Sieg gegen den, der trotz des äußeren Scheins immer ein Rivale gewesen war.
»Nachdem ich hin und her überlegt und mir den Kopf zerbrochen habe«, fügte Chirinos mit verschwörerischer Miene hinzu, »ist mir der Gedanke gekommen, daß der Grund vielleicht die Enttäuschung des Chefs über die Weigerung der Bischöfe ist, ihn zum Wohltäter der katholischen Kirche auszurufen. Du warst in der Kommission, die gescheitert ist.«
»Wir waren zu dritt, Henry! Ihr gehörten auch Balaguer und Paíno Pichardo an als Innen- und Kultusminister. Diese Verhandlungen haben vor Monaten stattgefunden, kurz nach dem Hirtenbrief der Bischöfe. Warum sollte die Verantwortung mich allein treffen?«
»Ich weiß es nicht, Cerebrito. Es wirkt in der Tat an den Haaren herbeigezogen. Auch ich sehe keinerlei Grund dafür, daß du in Ungnade fällst. Ehrlich, bei unserer langjährigen Freundschaft.«
»Wir waren etwas mehr als Freunde. Wir standen zusammen hinter dem Chef, bei allen Entscheidungen, die dieses Land verändert haben. Wir sind lebende Geschichte. Wir haben uns gegenseitig mehr als einmal ein Bein gestellt, Tiefschläge verpaßt, ausgetrickst, um einen Vorteil vor dem anderen zu erringen. Aber die Vernichtung, so etwas schien ausgeschlossen. Das hier ist etwas anderes. Es kann
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