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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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für mich Ruin, Schimpf und Schande, Gefängnis bedeuten. Ohne daß ich wüßte, warum! Wenn du das alles angezettelt hast, herzlichen Glückwunsch! Ein Meisterwerk, Henry!«
    Er war aufgestanden. Er sprach ruhig, unpersönlich, fast didaktisch. Auch Chirinos erhob sich, wobei er sich auf eine der Sessellehnen stützte, um seine Körperfülle hochzustemmen. Sie standen dicht beinander, berührten sich fast. Cabral sah ein kleines Bild an der Wand, zwischen den Bücherregalen, ein Zitat von Tagore: »Ein offenes Buch ist ein Geist, der spricht; ein geschlossenes, ein Freund, der wartet; ein vergessenes, eine Seele, die verzeiht; ein zerstörtes, ein Herz, das weint.« Kitsch, was er auch macht, anfaßt, sagt und fühlt, dachte er. »Offenheit gegen Offenheit.« Chirinos näherte ihm sein Gesicht, und Agustín fühlte sich betäubt durch die Ausdünstung, die seine Worte begleitete. »Vor zehn, vor fünf Jahren wäre ich vor keiner Intrige zurückgeschreckt, um dich aus dem Weg zu räumen, Agustín. Du hättest das gleiche getan. Bis hin zur Vernichtung. Aber jetzt? Warum? Haben wir irgendeine Rechnung offen? Nein. Wir rivalisieren nicht mehr, Cerebrito, das weißt du so gut wie ich. Wieviel Sauerstoff bleibt diesem Sterbenden noch? Zum letzten Mal: Ich habe nichts zu tun mit dem, was dir widerfährt. Ich hoffe und wünsche, daß sich die Sache klärt. Es kommen schwierige Tage, und es ist gut für die Regierung, wenn sie dich hat, um den Attacken zu widerstehen.«
    Der Senator Cabral nickte. Chirinos klopfte ihm auf die Schulter.
    »Wenn ich zu den caliés gehe, die unten auf mich warten, und ihnen erzähle, was du gesagt hast, daß dem Regime die Luft ausgeht, daß es in den letzten Zügen liegt, würdest du mir Gesellschaft leisten«, sagte er zum Abschied. »Das wirst du nicht tun.« Die große dunkle Fratze des Hausherrn lachte. »Du bist nicht wie ich. Du bist ein Ehrenmann.«
    »Was ist aus ihm geworden?« fragt Urania. »Lebt er noch?«
    Tante Adelina lacht auf, und der Papagei Samson, der zu schlafen schien, reagiert mit weiterem Gekreische. Als er verstummt, gewahrt Urania das rhythmische Knarren des Schaukelstuhls, in dem Manolita sitzt. »Unkraut vergeht nicht«, erklärt ihre Tante. »Immer noch in seiner Höhle im Kolonialviertel, Salomé Urana Ecke Duarte. Lucindita hat ihn kürzlich gesehen, wie er mit Stock und Hauspantoffeln im Independencia-Park spazierenging.« »Kleine Jungs rannten hinter ihm her und riefen: ›Der schwarze Mann, der schwarze Manni‹« sagt Lucinda lachend. »Er ist noch häßlicher und widerlicher als früher. Er muß mehr als neunzig sein, oder?« Ist nach dem Essen schon Zeit genug vorbeigegangen, daß sie sich verabschieden kann? Urania hat sich den ganzen Abend
    nicht wohl gefühlt. Eher angespannt, auf Angriffe gefaßt. Es sind die einzigen Verwandten, die ihr bleiben, und sie fühlt sich weiter von ihnen entfernt als von den Sternen. Und Marianitas große, starr auf sie gerichtete Augen beginnen sie zu irritieren.
    »Es waren schreckliche Tage für die Familie«, beginnt Tante Adelina von neuem.
    »Ich erinnere mich, wie mein Papa und Onkel Agustín in diesem Zimmer miteinander geflüstert haben«, sagt Lucindita. »Und wie dein Papa gesagt hat: ›Aber mein Gott, was habe ich dem Chef nur getan, daß er mich so mißhandelt?‹«
    Ein Hund, der in der Nähe wütend losbellt, läßt sie verstummen; zwei, fünf andere antworten ihm. Durch ein kleines Oberlicht an der Zimmerdecke sieht Urania den Mond: rund und gelb, prachtvoll. So einen Mond gab es in New York nicht.
    »Was ihn am meisten quälte, war deine Zukunft, falls ihm etwas zustieße.« Tante Adelinas Blick ist voller Vorwurf. »Als man ihm die Bankkonten beschlagnahmte, wußte er, daß nichts zu machen war.«
    »Die Bankkonten!« nickt Urania. »Das war das erste Mal, daß mein Papa mit mir sprach.«
    Sie lag schon im Bett, und ihr Vater kam herein, ohne anzuklopfen. Er setzte sich an den Fuß des Bettes. Er war in Hemdsärmeln und sehr blaß; er kam ihr dünner, zerbrechlicher und älter vor. Er zögerte bei jeder Silbe. »Es sieht schlecht aus, mein Kleines. Du mußt auf alles gefaßt sein. Bis jetzt habe ich dir nicht gesagt, wie ernst die Situation ist. Aber heute, na ja, in der Schule wirst du was gehört haben.«
    Das Mädchen nickte ernst. Sie war nicht beunruhigt, ihr Vertrauen in ihn war grenzenlos. Wie konnte einem so wichtigen Mann etwas Schlimmes passieren? »Ja, Papi, daß im Öffentlichen Forum Briefe

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