Das Fest des Ziegenbocks
erschöpft von den Auseinandersetzungen und gegenseitigen Vorhaltungen, daß sie einschliefen, einer auf dem anderen wie auf Kissen, schweißtriefend, halb erstickt von der glühenden Luft. Am dritten Tag, als Doktor Vélez Santana El Caribe in ihr Versteck brachte und sie unter der dicken Schlagzeile »GESUCHTE TRUJILLO-MÖRDER« ihre Photos und, weiter unten, das Photo von General Roman Fernández sahen, der bei der Totenfeier des Generalissimus Ramfis umarmte, wußten sie, daß sie verloren waren. Es würde keine militärisch-zivile Junta geben. Ramfis und Radhamés waren zurückgekehrt, und das ganze Land trauerte um den Diktator.
»Pupo hat uns verraten.« General Juan Tomás Díaz schien am Boden zerstört. Er hatte die Schuhe ausgezogen, seine Füße waren stark geschwollen, und er keuchte. »Wir müssen hier raus«, sagte Antonio de la Maza. »Wir können diese Familie nicht mit hineinreiten. Wenn sie uns
finden, werden sie sie auch umbringen.«
»Du hast recht«, unterstützte ihn der Türke. »Das wäre
nicht gerecht. Gehen wir.«
Wohin sollten sie gehen? Den ganzen 2. Juni verbrachten sie damit, mögliche Fluchtpläne zu schmieden. Kurz vor Mittag hielten zwei Wannen mit caliés vor dem gegenüberliegenden Haus, und ein halbes Dutzend bewaffneter Männer stürmte hinein, nachdem sie die Tür eingetreten hatten. Von Ligia gewarnt, warteten sie mit schußbereiten Revolvern. Aber die caliés zogen ab, einen jungen Mann im Schlepptau, dem sie Handschellen angelegt hatten. Von allen Vorschlägen schien der Antonios der beste zu sein: sich ein Auto oder einen Lieferwagen beschaffen und versuchen, nach Restauración zu gelangen, wo er durch seine Pinien- und Kaffeepflanzungen und das von ihm verwaltete Sägewerk Trujillos viele Leute kannte. So nah der Grenze würde es nicht schwierig für sie sein, nach Haiti zu kommen. Aber was für einen Wagen konnten sie sich beschaffen? Wen sollten sie darum bitten? Auch in dieser Nacht machten sie kein Auge zu, gequält von Angst, Erschöpfung, Verzweiflung, Ungewißheit. Um Mitternacht stieg der Hausherr mit Tränen in den Augen zum Dachboden hoch: »Sie haben drei Häuser in dieser Straße durchsucht«, sagte er flehend. »Jeden Augenblick ist meines an der Reihe. Mir macht es nichts aus, zu sterben. Aber meine Frau und mein kleiner Sohn? Und das ungeborene Kind?« Sie schworen ihm, daß sie, was auch immer passierte, am nächsten Tag gehen würden. Und das taten sie in der Abenddämmerung des 4. Juni. Salvador Estrella Sadhalá beschloß, sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen. Er wußte nicht, wohin, aber er dachte, daß er allein mehr Möglichkeiten zur Flucht hätte als mit Juan Tomás und Antonio, deren Namen und Gesichter am häufigsten im Fernsehen und in den Zeitungen erschienen. Er ging als erster los, zehn Minuten vor sechs, als es dunkel zu werden begann. Durch die Jalousien des Schlafzimmers des Ehepaars Reid Cabral sah Antonio de la Maza ihn rasch bis zur Ecke laufen, wo er mit erhobenen Händen ein Taxi anhielt. Er fühlte Schmerz; der Türke war sein bester Freund gewesen, und sie hatten sich seit jenem verdammten Streit nie von Grund auf versöhnt. Es würde keine Gelegenheit mehr geben.
Doktor Marcelino Vélez Santana beschloß, noch eine Weile bei seinem Kollegen und Freund, Doktor Reid Cabral, zu bleiben, der mitgenommen wirkte. Antonio rasierte sich den Schnurrbart ab und drückte sich einen alten Hut, den er in der
Dachkammer gefunden hatte, tief ins Gesicht. Juan Tomás Díaz dagegen unternahm nicht die geringste Anstrengung, sich zu verkleiden. Beide umarmten Doktor Vélez Santana. »Ohne Groll?« »Ohne Groll. Viel Glück.«
Als sie sich bei Lidia Reid Cabral für die Gastfreundschaft bedankten, brach sie in Tränen aus und schlug über jedem das Kreuz: »Gott schütze euch.«
Sie liefen acht Straßenzüge, durch verlassene Straßen, die Hände in den Hosentaschen, um die Revolver geklammert, bis zum Haus eines Schwippschwagers von Antonio de la Maza, Tonito Mota. Er hatte einen Ford mit Ladefläche; vielleicht würde er ihnen den Wagen leihen oder sich von ihnen stehlen lassen. Aber Tonito war nicht zu Hause, und der Ford stand auch nicht in der Garage. Der Hausdiener, der die Tür öffnete, erkannte Antonio de la Maza sofort: »Don Antonio! Sie hier!« Er machte ein entsetztes Gesicht; Antonio und der General waren sicher, daß er die Polizei rufen würde, sobald sie gegangen wären, und entfernten sich rasch. Sie wußten nicht, was
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