Das Fest des Ziegenbocks
Bruders von Robert, Doñald Reid Cabral, der in Washington und New York für die Verschwörung arbeitete. Die Überraschung des jungen Arztes, den sie fast um Mitternacht aus dem Schlaf weckten, war gewaltig. Er wußte nichts von dem Komplott; er war nicht einmal darüber informiert, daß sein Bruder Doñald mit den Amerikanern zusammenarbeitete. Doch kaum hatte er seine Fassung und seine Sprache zurückgewonnen, bat er sie rasch in sein kleines einstöckiges Haus im maurischen Stil, das, schmal wie es war, einem Hexenmärchen zu entstammen schien. Er war ein junger bartloser Mann mit gütigen Augen, der übermenschliche Anstrengungen machte, sein Unbehagen zu verbergen. Er stellte sie seiner Frau Ligia vor, die sichtbar schwanger war; sie nahm diese Invasion von Fremden gelassen auf, ohne große Beunruhigung. Sie zeigte ihnen ihren kleinen zweijährigen Sohn, der seinen Platz in einer Ecke des Eßzimmers hatte. Das junge Paar führte die Verschwörer in ein kleines enges Zimmer im Oberstock, das als Bodenkammer diente. Es hatte so gut wie keine Belüftung, und die Hitze war wegen der sehr niedrigen Decke unerträglich. Sie fanden nur sitzend und mit eingezogenen Beinen Platz; wenn sie sich aufrichteten, mußten sie in gebückter Haltung verharren, um nicht an die Dachbalken zu stoßen. In dieser ersten Nacht bemerkten sie die Unbequemlichkeit und die Hitze kaum; sie verbrachten sie damit, leise zu reden, versuchten zu erraten, was mit Pupo Roman geschehen war: Warum war er spurlos verschwunden, wo doch alles von ihm abhing? General Díaz erinnerte sich an sein Gespräch mit Pupo, am 24. Mai, Pupos Geburtstag, auf dessen Landgut bei Kilometer vierzehn. Er hatte ihm und Luis Amiama versichert, er habe alle Vorbereitungen getroffen, um die Streitkräfte zu mobilisieren, sobald sie ihm den Leichnam zeigten.
Marcelino Vélez Santana blieb aus Solidarität bei ihnen, denn er hatte keinen Grund, sich zu verstecken. Am nächsten Morgen verließ er das Haus auf der Suche nach Neuigkeiten. Er kam kurz vor Mittag zurück, blaß. Von einer militärischen Erhebung keine Spur. Im Gegenteil, es herrschte ein hektisches Hin und Her von Wannen des SIM und von Jeeps und Lastwagen der Armee. Die Patrouillen durchkämmten sämtliche Stadtviertel. Gerüchten zufolge hatte man Hunderte von Männern, Frauen, Alten und Kindern mit Gewalt aus ihren Häusern geholt und in die Gefängnisse La Victoria, El Nueve oder La Cuarenta gebracht. Auch im Landesinneren gab es Treibjagden auf vermeintliche Trujillo-Gegner. Ein Kollege aus La Vega hatte Doktor Vélez Santana erzählt, die gesamte Familie de la Maza, angefangen beim Vater Don Vicente, bis hin zu allen Brüdern, Schwestern, Neffen, Nichten, Cousins und Cousinen Antonios, sei in Moca verhaftet worden. Die Stadt war jetzt von Soldaten und caliés besetzt. Die Häuser von Juan Tomás, seines Bruders Modesto, von Imbert und von Salvador waren von Stacheldrahtsperren und bis an die Zähne bewaffneten Soldaten umstellt. Antonio sagte nichts dazu. Er hatte keinen Grund, überrascht zu sein. Er hatte immer gewußt, daß die Reaktion des Regimes von unvergleichlicher Brutalität sein würde, wenn das Komplott mißlingen sollte. Es zerriß ihm das Herz, wenn er sich vorstellte, wie sein alter Vater Don Vicente und seine Geschwister von Abbes García gequält und mißhandelt wurden. Gegen ein Uhr nachmittag erschienen auf der Straße zwei schwarze Volkswagen mit caliés. Ligia, die Frau von Reid Cabral – er war in seine Praxis gegangen, um keinen Verdacht in der Nachbarschaft zu wecken –, kam und teilte ihnen flüsternd mit, daß Männer in Zivil mit Maschinenpistolen ein benachbartes Haus durchsuchten. Antonio schimpfte los (wenn auch mit gedämpfter Stimme):
»Ihr hättet auf mich hören sollen, ihr Idioten. Wäre es nicht besser gewesen, mit der Waffe in der Hand im Regierungspalast zu sterben als in dieser Mausefalle?« Den ganzen Tag lang stritten sie und machten sich wieder und wieder Vorwürfe. Bei einer dieser Auseinandersetzungen explodierte Vélez Santana. Er packte General Juan Tomás Díaz am Hemd und hielt ihm vor, ihn sinnlos in ein aberwitziges, absurdes Komplott verwickelt zu haben, bei dem sie nicht einmal die Flucht der Verschwörer geplant hatten. War ihm klar, was jetzt mit ihnen geschehen würde? Der Türke trat zwischen sie, um zu verhindern, daß sie handgemein wurden. Antonio beherrschte sich, um sich nicht übergeben zu müssen. In der zweiten Nacht waren sie so
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