Das Fest des Ziegenbocks
hatten. Er hätte ihn nicht angerufen; er hätte ihn festnehmen lassen, und er befände sich jetzt in La Cuarenta oder El Nueve. Trotzdem bohrte der Zweifel in ihm, und beim Mittagessen bekam er keinen Bissen hinunter. Nun ja, trotz der Unannehmlichkeit war es eine Erleichterung, daß die Beschimpfungen ihre Ursache in einem kaputten Rohr hatten und nicht in einer Verschwörung. Allein der Gedanke, Trujillo hätte erfahren können, daß er einer der Verschwörer war, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Man konnte ihm vieles vorwerfen, aber nicht, daß er feige war. Seit seiner Zeit als Kadett hatte er auf jedem Posten körperlichen Mut bewiesen und bei Gefahr mit einer Furchtlosigkeit gehandelt, die ihm unter Kameraden und Untergebenen den Ruf eines ganzen Kerls eingebracht hatte. Immer war er ein guter Kämpfer gewesen, sei es mit Bandagen oder mit der nackten Faust. Nie hatte er jemandem erlaubt, es ihm gegenüber an Respekt fehlen zu lassen. Aber wie bei so vielen Offizieren, bei so vielen Dominikanern schwanden sein Mut und sein Ehrgefühl vor Trujillo, befiel ihn eine Lähmung von Verstand und Muskeln, eine servile Willfährigkeit und Ehrfurcht. Oft hatte er sich gefragt, warum allein die Gegenwart des Chefs – seine hohe dünne Stimme und die Starrheit seines Blicks – ihn moralisch vernichtete.
Weil er die Macht Trujillos über sich kannte, hatte General Roman vor fünfeinhalb Monaten, als Luis Amiama ihm gegenüber zum ersten Mal eine Verschwörung erwähnte, die das Ziel hatte, das Regime zu stürzen, wie aus der Pistole geschossen geantwortet:
»Ihn entführen? Was für ein Blödsinn! Solange er lebt, wird sich nichts ändern. Man muß ihn umbringen.« Sie befanden sich auf der Bananenplantage, die Luis Amiama in Guayubín, in der Provinz Montecristi, besaß, und sahen von der sonnigen Terrasse des Hauses aus zu, wie die erdfarbenen Wasser des Yaque-Flusses dahinströmten. Sein Pate erklärte ihm, daß er und Juan Tomás mit dieser Operation verhindern wollten, daß das Regime das Land
vollends ruinierte
und eine weitere kommunistische Revolution im Stil Kubas auslöste. Es war ein ernsthafter Plan, der die Rückendeckung der Vereinigten Staaten besaß. Henry Dearborn, John Banfield und Bob Owen von der Legation hatten ihre formelle Unterstützung zugesagt und den Verantwortlichen des CIA in Ciudad Trujillo, Lorenzo D. Berry (»Der Besitzer des Supermarkts Wimpy’s?« »Ja, genau der.«), beauftragt, sie mit Geld, Waffen und Munition zu versorgen. Die Vereinigten Staaten waren seit dem Attentat auf den venezolanischen Präsidenten Rómulo Betancourt beunruhigt über die Exzesse Trujillos und wollten ihn loswerden, aber zugleich sichergehen, daß nicht ein zweiter Fidel Castro an seine Stelle träte. Deshalb würden sie eine seriöse, eindeutig antikommunistische Gruppierung unterstützen, die eine militärisch-zivile Junta bilden und nach sechs Monaten zu Wahlen aufrufen würde. Amiama, Juan Tomás Díaz und die Gringos waren einverstanden: Pupo Roman sollte den Vorsitz dieser Junta übernehmen. Wer konnte besser als er die Zustimmung der Garnisonen und einen geordneten Übergang zur Demokratie gewährleisten?
»Ihn entführen, ihn um Rücktritt bitten?« sagte Pupo erregt. »Ihr habt euch im Land und in der Person geirrt, mein Lieber. Du scheinst ihn nicht zu kennen. Er wird sich nie lebend gefangennehmen lassen. Und man wird ihm nie den Rücktritt abnötigen. Man muß ihn umbringen.« Der Fahrer des Jeeps, ein Unteroffizier, fuhr schweigend, und Roman nahm tiefe Züge von seiner Lucky Strike, seiner Lieblingsmarke. Warum hatte er sich in die Verschwörung hineinziehen lassen? Im Unterschied zu Juan Tomás, der in Ungnade gefallen und aus der Armee entlassen worden war, hatte er sehr wohl alles zu verlieren. Er hatte den höchsten Posten erreicht, den ein Militär überhaupt anstreben konnte, und obwohl er keine glückliche Hand in geschäftlichen Dingen hatte, befanden sich seine Landgüter noch immer in seinem Besitz. Die Gefahr einer Pfändung war mit der Zahlung der vierhun derttausend Pesos an die Agrarbank gebannt. Der Chef hatte diese Schulden nicht aus Achtung für seine Person beglichen,
sondern aus dem arroganten Anspruch heraus, daß seine Familie niemals einen schlechten Eindruck machen durfte, das Bild der Familie Trujillo samt angeheirateter Verwandtschaft immer makellos sein mußte. Es war nicht der Machthunger, der ihn trieb, es war nicht die Aussicht, zum provisorischen
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