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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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hineinfallen ließ. Er schlief sofort ein. Als er zwei Stunden später erwachte, erinnerte er sich an einen eisigen Alptraum, in dem er, zitternd vor Kälte, in einer beschneiten Einöde eine Herde Wölfe auf sich zukommen sah. Er sprang auf und eilte fast im Laufschritt zum Amtszimmer des Präsidenten Balaguer. Er fand die Türen weit geöffnet. Er trat ein, entschlossen, diesen Pygmäen, der sich unberufen einmischte, seine Autorität spüren zu lassen, aber dort erwartete ihn eine weitere Überraschung, denn er sah sich plötzlich dem leibhaftigen Bischof Reilly gegenüber. Verstört, das Priestergewand halb zerrissen, im Gesicht Spuren von Mißhandlung, bewahrte die hohe Gestalt des Bischofs dennoch eine majestätische Würde. Der Präsident der Republik war dabei, ihn zu verabschieden. »Ah, Hochwürden, sehen Sie, wer hier ist, der Minister der Streitkräfte, General José Rene Roman Fernández«, stellte er ihn vor. »Er kommt, um Ihnen noch einmal das Bedauern der Militärbehörde über das beklagenswerte Mißverständnis auszudrücken. Sie haben mein Wort und das des Oberbefehlshabers der Armee, nicht wahr, General Roman?, daß weder Sie noch ein anderer Prälat, noch die Ordensschwestern der Santo-Domingo-Schule ein weiteres Mal belästigt werden. Ich selbst werde Sister Williemine und Sister Heien Claire entsprechende Erklärungen geben. Wir durchleben sehr schwierige Augenblicke, und Sie, ein Mann mit Erfahrung, werden das verstehen. Es gibt Untergebene, die die Kontrolle verlieren und das Maß überschreiten, wie heute nacht. Es wird nicht noch einmal geschehen. Ich habe angeordnet, daß eine Eskorte Sie zur Schule begleitet. Ich bitte Sie darum, sich beim geringsten Problem mit mir persönlich in Verbindung zu setzen.«
    Bischof Reilly, der das alles verfolgte, als wäre er von Marsmenschen umgeben, verabschiedete sich mit einer vagen Kopfbewegung. Roman stellte Doktor Balaguer in scharfem Ton zur Rede, wobei er die Maschinenpistole berührte:
    »Sie schulden mir eine Erklärung, Senor Balaguer. Wer sind Sie, daß Sie einen Gegenbefehl zu einer Anordnung von mir erteilen, daß Sie eine Militärbehörde, einen subalternen Offizier anrufen, ohne die Rangordnung zu respektieren? Für wen zum Teufel halten Sie sich?« Der kleine Mann sah ihn an, als hörte er ihm gar nicht zu. Nachdem er ihn eine Weile gemustert hatte, deutete er ein freundliches Lächeln an. Dann wies er auf den Sessel vor seinem Schreibtisch und forderte ihn auf, sich zu setzen. Pupo Roman rührte sich nicht. Das Blut kochte ihm in den Adern, wie in einem Kessel kurz vor dem Explodieren. »Antworten Sie auf meine Frage, verdammtnochmal!« schrie er.
    Auch dieses Mal verlor Dr. Balaguer nicht die Fassung. Mit der gleichen Sanftheit, mit der er deklamierte oder Reden verlas, ermahnte er ihn väterlich:
    »Sie sind außer sich, und aus gutem Grund, Herr General. Aber reißen Sie sich zusammen. Wir erleben womöglich den kritischsten Augenblick der Republik, und Sie müssen dem Land mehr als jeder andere ein Vorbild an Gelassenheit sein.«
    Er hielt seinem zornigen Blick stand – Pupo hatte Lust, ihn zu schlagen, und gleichzeitig hielt ihn die Neugier davon ab -und fügte im gleichen Tonfall hinzu, nachdem er sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte:
    »Danken Sie mir dafür, daß ich Sie daran gehindert habe, einen schweren Irrtum zu begehen, Herr General. Durch die Ermordung eines Bischofs hätten Sie Ihre Probleme nicht gelöst. Sie hätten sie nur schlimmer gemacht. Falls es Sie interessiert, nehmen Sie zur Kenntnis, daß der Präsident, den Sie aufgesucht haben, um ihn zu beschimpfen, bereit ist, Ihnen zu helfen. Obwohl ich, wie ich fürchte, nicht viel für Sie werde tun können.« Roman bemerkte keine Ironie in diesen Worten. Verbarg sich eine Drohung dahinter? Nein, nach der gütigen Art zu urteilen, in der Balaguer ihn anschaute. Seine Wut verrauchte. Jetzt hatte er Angst. Er beneidete diesen salbungsvollen Zwerg um seine Ruhe. »Sie sollen wissen, daß ich den Befehl gegeben habe, Segun-do Imbert und Papito Sanchez in La Victoria zu exekutieren«, tobte er, ohne zu bedenken, was er sagte. »Sie gehörten auch zur Verschwörung. Ich werde das gleiche mit allen tun, die an der Ermordung des Chefs beteiligt waren.«
    Dr. Balaguer nickte langsam, ohne daß sein Gesichtsausdruck sich im mindesten veränderte.
    »Große Übel verlangen große Lösungen«, murmelte er kryptisch. Dann erhob er sich, ging auf die Tür seines Amtszimmers zu

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