Das Fest des Ziegenbocks
Berufe, Rassen und Klassen betrachtete, die Stunden um Stunden unter einer erbarmungslosen Sonne warteten, um die Treppe des Regierungspalastes hinaufzusteigen und unter hysterischen Schmer-zensäußerungen, Ohnmächten, Schreien, Opfergaben für die Geister des Vodu dem Chef, dem Mann, dem Wohltäter, dem Generalissimus, dem Vater die letzte Huldigung zu erweisen. Und dazwischen vernahm er die Berichte seiner Adjutanten über die Festnahme des Ingenieurs Huáscar Tejeda und von Salvador Estrella Sadhalá, über das Ende von Antonio de la Maza und von General Juan Tomás Diáz, die sich am Indepen-dencia-Park Ecke Bolívar mit der Waffe in der Hand verteidigt
hatten, über den fast gleichzeitigen Tod, nicht weit entfernt, von Leutnant Amado García Guerrero, der ebenfalls getötet hatte, bevor man ihn tötete, und über die Zerstörung und Plünderung des Hauses der Tante, die ihm Unterschlupf gewährt hatte, durch den Pöbel. Er erinnerte sich ebenfalls an die Gerüchte über das mysteriöse Verschwinden seines Paten Amiama Tió und von Antonio Imbert – Ramfis bot eine halbe Million Pesos für Hinweise, die zur Festnahme führten – und an die Verhaftung von etwa zweihundert Dominikanern, Zivilisten und Militärs, in Ciudad Trujillo, Santiago, La Vega, San Pedro de Macorís und einem halben Dutzend anderer Orte, die in die Ermordung Trujillos verwickelt waren.
All das vermischte sich, aber es war zumindest verständlich. Das galt auch für die letzte zusammenhängende Erinnerung, die sein Gedächtnis bewahren sollte: Wie ihn Petán Trujillo am Ende der Totenmesse für den Generalissimus am Arm faßte: »Du fährst in meinem Wagen mit, Pupo.« In Petáns Cadillac wurde ihm klar – es war das letzte, was ihm mit aller Gewißheit klar wurde –, daß dies die allerletzte Gelegenheit war, sich das zu ersparen, was auf ihn zukam, indem er seine Waffe auf den Bruder des Chefs und auf sich selbst richtete, denn diese Fahrt würde nicht vor seinem Haus in Gazcue enden. Sie endete im Luftwaffenstützpunkt San Isidro, wo, wie Petán log, ohne sich um Glaubwürdigkeit zu bemühen, »ein Familientreffen stattfinden wird«. Am Eingang des Stützpunktes erklärten ihm zwei Generäle, sein Schwager Virgilio García Trujillo und der Generalstabschef des Heeres Tuntin Sánchez, man verhafte ihn unter der Anklage der Komplizenschaft mit den Mördern des Wohltäters des Vaterlandes und Vaters des Neuen Vaterlandes. Sehr blaß und seinen Blick meidend, baten sie ihn um seine Waffe. Gehorsam überreichte er ihnen die M1-Maschinenpistole, von der er sich seit vier Tagen nicht getrennt hatte. Sie führten ihn in einen Raum mit einem Tisch, einer alten Schreibmaschine, einem Stapel unbeschriebener Blätter und einem Stuhl. Sie forderten ihn auf, sich den Gürtel und die Schuhe auszuziehen und sie einem Unteroffizier zu übergeben.
Er tat es, ohne etwas zu fragen. Sie ließen ihn allein, und Minuten später traten die beiden engsten Freunde von Ramfis ein, Oberst Luis José Leon Estévez und Pirulo Sánchez Rubirosa, die ihn grußlos aufforderten, alles aufzuschreiben, was er über die Verschwörung wußte, und die Vor- und Familiennamen der Verschwörer zu nennen. General Ramfis – den Präsident Bala-guer durch allerhöchstes Dekret, das der Kongreß heute abend bestätigen würde, zum Obersten Kommandeur der Luft-, Land- und Seestreitkräfte der Republik ernannt hatte – verfüge dank der Verhafteten, die ihn sämtlich verraten hatten, über die vollständige Kenntnis des Komplotts. Er setzte sich an die Schreibmaschine und tat zwei Stunden, wie ihm geheißen. Er war ein schlechter Stenotypist, er tippte nur mit zwei Fingern und machte zahlreiche Fehler, mit deren Korrektur er sich nicht aufhielt. Er erzählte alles, angefangen bei seinem ersten Gespräch mit seinem Paten Luis Amiama vor sechs Monaten, und nannte die etwa zwanzig Personen, von denen er wußte, daß sie beteiligt waren, aber nicht Bibín. Er erklärte, entscheidend sei für ihn gewesen, daß die Vereinigten Staaten die Verschwörung unterstützten, und er habe sich erst dann bereit gefunden, den Vorsitz der militärischzivilen Junta zu übernehmen, als er durch Juan Tomás erfahren habe, daß sowohl der Konsul Henry Dearborn als auch der Konsul Jack Benett und der Chef des CIA in Ciudad Trujillo, Lorenzo D. Berry (Wimpy), wollten, daß er an ihrer Spitze stehe. Er ließ nur eine kleine Lüge einfließen: daß er als Bedingung seiner Teilnahme gefordert habe, der
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