Das Fest des Ziegenbocks
Anziehen, und er stieg wieder die Treppe hinauf in jenen Raum, in dem die Sonnenstrahlen die Augen blendeten und die Haut erfreuten. Blaß und tadellos in seiner Vier-Sterne-Generalsuniform, erwartete ihn dort Ramfis, mit der Tagesausgabe von El Caribe in der Hand:
9. Oktober 1961. Salvador las die große Schlagzeile:
»BRIEF VON GENERAL PEDRO A. ESTRELLA AN GENERAL RAFAEL LEÓNIDAS TRUJILLO SOHN.« »Lies den Brief, den mir dein Vater geschickt hat«, sagte Ramfis, während er ihm die Zeitung reichte. »Er spricht von dir.«
Salvador, die Handgelenke von den Handschellen geschwollen, griff nach der Zeitung. Obwohl er Schwindel fühlte und eine undefinierbare Mischung aus Ekel und Traurigkeit, gelangte er bis zur letzten Zeile. General Piro Estrella nannte den Ziegenbock »den größten aller Dominikaner«, rühmte sich, sein Freund, Leibwächter und Protege gewesen zu sein, und stellte Salvador mit üblen Worten bloß; er sprach vom »Treuebruch eines entgleisten Sohnes« und vom »Verrat meines Sohnes, der seinen Beschützer verraten hat«, ebenso wie seine Familie. Schlimmer als die Beschimpfungen war der letzte Absatz: sein Vater dankte Ramfis mit hochtrabender Unterwürfigkeit dafür, daß er ihm Geld geschenkt habe, um ihm das Überleben zu ermöglichen, nachdem ihm der Familienbesitz wegen der Beteiligung seines Sohnes an dem Mord beschlagnahmt worden sei. Er kehrte schwindlig vor Kummer und Scham in seine Zelle zurück. Und obwohl er seine Demoralisierung vor seinen Gefährten zu verbergen suchte, kam er nicht wieder hoch. ›Nicht Ramfis, mein Vater hat mich umgebracht‹, dachte er. Und er war neidisch auf Antonio de la Maza. Was für ein Glück, der Sohn von jemandem wie Don Vicente zu sein! Als er und seine fünf Zellenge fahrten wenige Tage nach diesem grausamen 9. Oktober nach La Victoria verlegt wurden – man spritzte sie mit Schläuchen ab und gab ihnen die Kleidung zurück, die sie bei ihrer Festnahme getragen hatten –, war der Türke ein wandelnder Toter. Nicht einmal die Möglichkeit, Besuche zu empfangen – donnerstags, eine halbe Stunde lang – und seine Frau, Luisito und Carmen Elly zu umarmen und zu küssen, konnte das Eis aufbrechen, das sein Herz umschloß, seitdem er den öffentlichen Brief von General Piro Estrella an Ramfis Trujillo gelesen hatte.
In La Victoria hörten die Folterungen und die Verhöre auf. Sie schliefen nach wie vor auf dem Boden, aber nicht mehr nackt, sondern mit Kleidung, die man ihnen von zu Hause schickte. Man nahm ihnen die Handschellen ab. Die Familien konnten ihnen Essen, Mineralwasser und etwas Geld zukommen lassen, mit dem sie die Wärter bestachen, damit sie ihnen Zeitungen verkauften, ihnen Informationen über andere Häftlinge gaben oder Nachrichten nach draußen übermittelten. Die Rede von Präsident Balaguer vor den Vereinten Nationen, in der er die Trujillo-Diktatur verurteilte und eine »geordnete« Demokratisierung versprach, ließ im Gefängnis wieder die Hoffnung keimen. Es schien kaum glaublich, aber mit der Union Civica und der Bewegung 14. Juni begann eine politische Opposition Gestalt anzunehmen, die im Licht der Öffentlichkeit agierte. Am meisten ermutigte seine Freunde, daß in den Vereinigten Staaten, in Venezuela und anderswo Komitees entstanden waren, die ein ziviles Gericht mit internationalen Beobachtern für sie forderten. Salvador bemühte sich, die freudige Erwartung der anderen zu teilen. In seinen Gebeten bat er Gott, ihm die Hoffnung zurückzugeben. Denn er hatte keine. Er hatte diesen unerbittlichen Ausdruck von Ramfis gesehen. Würde er sie freilassen? Niemals. Er würde seine Rache vollenden. Als man erfuhr, daß Petán und Negro Trujillo das Land verlassen hatten, brach Jubel in La Victoria aus. Jetzt würde auch Ramfis gehen. Balaguer würde nichts anderes übrigbleiben, als
eine Amnestie zu erlassen. Aber Modesto Díaz mit seiner strengen Logik und seiner nüchternen Art, die Dinge zu analysieren, überzeugte sie, daß sich Familien und Anwälte jetzt mehr denn je für ihre Verteidigung einsetzen müßten. Ramfis würde nicht gehen, ohne Papis Henker liquidiert zu haben. Während Salvador ihm zuhörte, betrachtete er das Wrack, in das Modesto sich verwandelt hatte: er hatte noch mehr Kilo verloren, und sein Gesicht war das eines alten Mannes, voller Furchen. Wie viele mochte er selbst verloren haben? Die Hosen und Hemden, die seine Frau ihm brachte, schlotterten ihm um den Leib, und jede Woche mußte er neue Löcher
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