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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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hatte nicht nur viele Kilo verloren; sein ganzer Körper war von Wunden bedeckt, und ein Ausdruck unendlicher Traurigkeit lag in seinem Gesicht. ›Bestimmt sehe ich genauso aus‹, dachte Salvador. Seit seiner Festnahme hatte er sich nicht im Spiegel gesehen.
    Immer wieder bat er seine Verhörer, ihm einen Beichtvater zu erlauben. Schließlich fragte der Wärter, der ihnen das Essen brachte, wer einen Geistlichen wolle. Alle hoben die Hand. Sie gaben ihnen Hosen zum Anziehen und führten sie über die steile Treppe nach oben in den Raum, in dem er von seinem Vater beschimpft worden war. Die Sonne zu sehen, ihre warme Zunge auf seiner Haut zu spüren ließ ihn wieder Mut fassen. Erst recht, die Beichte abzulegen und das Abendmahl zu empfangen, etwas, von dem er geglaubt hatte, daß er es nie wieder tun könnte. Als Pater Rodríguez Canela, der Militärkaplan, sie aufforderte, mit ihm gemeinsam ein Gebet zum Gedenken an Trujillo zu sprechen, kniete nur Salvador nieder und betete mit ihm. Seine Gefährten blieben stehen, voll Unbehagen. Von Pater Rodríguez Canela erfuhr er das Datum: 30. August 1961. Es waren nur drei Monate vergangen! Ihm war, als würde dieser Alptraum schon Jahrhunderte dauern. Niedergedrückt, geschwächt, demoralisiert, sprachen sie wenig miteinander, und die Gespräche drehten sich immer um das, was sie in El Nueve gesehen, gehört und erlebt hatten. Von allen Zeugnissen seiner Zellengefährten blieb Salvador wie ein unauslöschliches Zeichen die Geschichte ins Gedächtnis gebrannt, die Modesto Díaz unter Schluchzern erzählte. In den ersten Wochen war er Zellengefährte von Miguel Angel Báez Díaz gewesen. Der Türke erinnerte sich noch an seine Überraschung, als der Mann am 30. Mai in seinem Volkswagen auf der Straße nach San Cristó-bal erschienen war, um ihnen zu versichern, daß Trujillo, mit dem er gerade die Avenida entlangspaziert war, kommen würde, und er auf diese Weise erfahren hatte, daß dieser distinguierte Herr aus dem inneren Kreis der Trujillo-Anhänger ebenfalls an der Verschwörung beteiligt war. Abbes García und
    Ramfis setzten ihm besonders zu, weil er Trujillo so nah gewesen war; sie wohnten den Sitzungen mit Strom, Ochsenziemern und Verbrennungen bei und befahlen den Ärzten des SIM, ihn wiederzubeleben, um weitermachen zu können. Nach zwei oder drei Wochen brachte man ihnen statt des üblichen stinkenden Maismehls einen Topf mit Fleischstücken in die Zelle. Miguel Angel Báez und Modesto stopften sich voll, aßen mit den Händen, bis sie nicht mehr konnten. Kurze Zeit später kehrte der Wärter zurück. Er pflanzte sich vor Báez Díaz auf: General Ramfis Trujillo wolle wissen, ob es ihn nicht ekle, seinen eigenen Sohn zu essen. Vom Boden her beschimpfte Miguel Angel ihn: »Sag diesem dreckigen Hurensohn von mir, er soll seine Zunge verschlucken und sich daran vergiften.« Der Wärter brach in Lachen aus. Er ging und kam zurück und zeigte ihnen von der Tür her einen jugendlichen Kopf, den er am Haar gepackt hielt. Miguel Angel Báez Díaz starb Stunden später in Modestos Armen an einem Herzanfall. Das Bild Miguel Angels, der den Kopf Miguelitos, seines ältesten Sohnes, erkannte, verfolgte Salvador; er hatte Alpträume, in denen er Luisito und Carmen Elly enthauptet sah. Die Schreie, die er im Schlaf von sich gab, brachten seine Gefährten gegen ihn auf.
    Im Unterschied zu seinen Freunden, von denen etliche versucht hatten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, war Salvador entschlossen, bis zum Schluß durchzuhalten. Er hatte sich mit Gott versöhnt; er betete Tag und Nacht, und die Kirche verbot den Selbstmord. Es war auch nicht einfach, sich umzubringen. Huáscar Tejeda hatte es versucht, mit der Krawatte, die er einem der Wärter gestohlen hatte (er trug sie zusammengefaltet in der hinteren Hosentasche). Er versuchte, sich zu erhängen, aber es gelang ihm nicht, und er wurde um so härter bestraft, weil er es versucht hatte. Pedro Livio Cedeno wollte sich umbringen, indem er Ramfis im Folterraum provozierte -»Dreckskerl«, »Bastard«, »Hurensohn«, »deine Mutter, die kleine Spanierin, war im Bordell, bevor sie Trujillos Geliebte wurde« – und ihn sogar anspuckte. Aber Ramfis feuerte nicht
    die Salve auf ihn ab, die er so heftig wünschte: »Noch nicht, mach dir keine Hoffnungen. Das kommt zum Schluß. Erst mußt du noch weiter bezahlen.«
    Das zweite Mal erfuhr Salvador Estrella Sadhalá das Datum am 9. Oktober 1961. An diesemTag gab man ihm eine Hose zum

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