Das Fest des Ziegenbocks
Victoria, und es lag nahe, diese Leute nach dem Fortgang der Familie Trujillo zu amnestieren. Doch Balaguer wußte, daß Trujillos Sohn niemals die noch lebenden Mörder in die Freiheit entlassen würde. Er würde sich grausam an ihnen vergehen, wie an General Roman, den er vier Monate lang gefoltert hatte, bevor er bekanntgab, er habe sich aus Reue über seinen Verrat das Leben genommen (der Leichnam wurde nie gefunden), und an Modesto Díaz, den er, wenn er noch lebte, wahrscheinlich noch immer mißhandelte. Das Problem lag darin, daß die Gefangenen – die Opposition nannte sie Rächer – das neue Gesicht, das er dem Regime geben wollte, entstellten. Ständig trafen Missionen, Abordnungen, ausländische Politiker und Journalisten ein, die sich nach ihnen erkundigten, und der Präsident mußte wahre Seiltänzerkunststücke vollbringen, um zu erklären, warum sie noch nicht vor Gericht gestellt worden waren, und schwören, daß ihr Leben respektiert würde und internationale Beobachter an dem – peinlich sauberen – Verfahren teilnehmen könnten. Warum hatte Ramfis sie noch nicht umgebracht, wie fast alle Brüder Antonio de la Mazas – Mario, Bolívar, Ernesto, Pirolo – und viele seiner Cousins, Neffen und Onkel, die man am Tag seiner Verhaftung erschossen oder totgeschlagen hatte, statt sie in der Todeszelle zu lassen, wo sie bloß der Opposition als Ferment dienten? Balaguer wußte, daß das Blut der Rächer ihn bespritzen würde: Das war der Stier, mit dem er es noch würde aufnehmen müssen. Wenige Tage nach diesem Gespräch brachte ihm ein Anruf von Ramfis eine exzellente Neuigkeit: Er hatte seine Onkel überzeugt. Petán und Negro würden auf lange Ferienreisen gehen. Am 25. Oktober flog Héctor Bienvenido mit seiner nordamerikanischen Frau in Richtung Jamaika. Und Petán lief auf der Fregatte Presidente Trujillo zu einer angeblichen Kreuzfahrt durch die Karibik aus. Konsul John Calvin Hill räumte gegenüber Balaguer ein, daß sich damit die Aussichten auf eine Aufhebung der Sanktionen erheblich verbesserten.
»Hoffentlich geschieht das bald, Herr Konsul«, bat der Präsident. »Die Republik bekommt jeden Tag weniger Luft.« Die Industrieunternehmen waren praktisch lahmgelegt durch die politische Ungewißheit und den eingeschränkten Import von Zulieferteilen; den Geschäften fehlten die Kunden durch den Einkommensrückgang. Ramfis verkaufte unter Preis die Firmen, die nicht auf den Namen der Familie Trujillo eingetragen waren, sowie die Inhaberaktien, und die Zentralbank mußte die zum irrealen offiziellen Kurs von einem Peso für einen Dollar konvertierten Beträge an Banken in Kanada und Europa überweisen. Die Familie hatte nicht so viele Devisen ins Ausland transferiert, wie der Präsident gefürchtet hatte: Doña Maria zwölf Millionen Dollar, Angelita dreizehn, Radha-més siebzehn und Ramfis bislang etwa zweiundzwanzig, was zusammen vierundsechzig Millionen Dollar ergab. Es hätte schlimmer sein können. Aber die Reserven wären bald zu Ende, und man würde die Soldaten, die Lehrer und die staatlichen Angestellten nicht mehr bezahlen können. Am 15. November rief ihn der Innenminister bestürzt an: Die Generäle Petán und Héctor Trujillo seien völlig unerwartet zurückgekehrt. Er riet Balaguer, um Asyl zu bitten; jeden Augenblick würde es zum Militärputsch kommen. Ein Großteil der Armee war auf ihrer Seite. Balaguer bestellte dringend den Konsul Calvin Hill ein. Er erklärte ihm die Lage. Wenn Ramfis es nicht verhinderte, würden zahlreiche Garnisonen Petán und Negro bei ihrem Aufstandsversuch unterstützen. Es würde zu einem Bürgerkrieg mit Ungewissem Ausgang und einem allgemeinem Massaker an Trujillo-Gegnern kommen. Der Konsul wußte Bescheid. Er teilte ihm seinerseits mit, daß Präsident Kennedy persönlich die Entsendung einer Kriegsflotte angeordnet habe. Der Flugzeugträger Valley Forge, der Kreuzer Little Rock, Flaggschiff der Zweiten Flotte, und die Zerstörer Hyman, Bristol und Beatty befanden sich, aus Puerto Rico kommend, auf dem Weg zur dominikanischen Küste. Etwa zweitausend marines würden landen, wenn es zu einem Putsch käme. Bei einem kurzen Telefongespräch mit Ramfis – er hatte vier Stunden lang versucht, ihn zu erreichen, bevor es ihm gelang -teilte dieser ihm eine ominöse Neuigkeit mit. Er habe eine heftige Auseinandersetzung mit seinen Onkeln gehabt. Sie würden das Land nicht verlassen. Ramfis hatte ihnen erklärt, daß in diesem Fall er gehen würde. »Was
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