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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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zerstörten, allzu hart bestraft wurden. Er akzeptierte widerspruchslos den Vorschlag Präsident Balaguers, er möge dem Staat, das heißt dem Volk, »in einem Akt patriotischer Entsagung« die Grundstücke, Landhäuser und Agrarunternehmen des Generalissimus und seiner Kinder abtreten. Ramfis tat es, in einem öffentlichen Brief. Auf diese Weise wurde der Staat zum Eigentümer von vierzig Prozent des Ackerbodens und damit nach Kuba das Land mit den meisten öffentlichen Unternehmen des Kontinents. Und General Ramfis beschwich-tigte die Gemüter der Brüder des Chefs, dieser degenerierten
    Rohlinge, die perplex auf das systematische Verschwinden der Ornamente und Symbole des Trujillismus reagierten. Als er eines Abends, nachdem er mit seinen Schwestern das tägliche frugale Mahl – Hühnerbrühe, weißer Reis, Salat und Milchspeise – eingenommen hatte, aufstand, um schlafen zu gehen, wurde er ohnmächtig. Er verlor das Bewußtsein nur einige Sekunden, aber Doktor Felix Goico warnte ihn: Wenn er weiter in diesem Rhythmus arbeitete, würden sein Herz oder sein Gehirn vor Ende des Jahres wie eine Granate explodieren. Er müsse mehr schlafen – seit Trujillos Tod schlief er kaum mehr als drei oder vier Stunden – , etwas für seinen Körper tun und sich an den Wochenenden erholen. Er zwang sich, jede Nacht fünf Stunden im Bett zu bleiben, und nach dem Mittagessen machte er einen Spaziergang, wenn auch weit von der Avenida Washington entfernt, um mißliche Assoziationen zu vermeiden; er ging in den ehemaligen Ramfis-Park, der jetzt in Eugenio-María-de-Hostos-Park umbenannt war. Und an den Sonntagen, nach der Messe, las er zu seiner geistigen Erholung zwei Stunden lang romantische und modernistische Gedichte oder die spanischen Klassiker des Goldenen Zeitalters. Zuweilen beschimpfte ihn auf der Straße ein zorniger Passant: »Ba-laguer, du Pappfigur!«, aber meistens grüßten sie ihn: »Schönen guten Tag, Herr Präsident.« Er dankte ihnen höflich, indem er den Hut lüpfte, den er gewöhnlich bis zu den Ohren herunterzog, damit ihn nicht der Wind davontrug.
    Als er am 2. Oktober 1961 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York verkündete, daß »in der Dominikanischen Republik eine echte Demokratie und neue Verhältnisse« im Entstehen begriffen seien, räumte er vor den etwa hundert Delegierten ein, daß die Diktatur Trujillos anachronistisch gewesen war und Freiheiten und Rechte in brutaler Weise mit Füßen getreten hatte. Und er bat die freien Nationen, ihm zu helfen, den Dominikanern Gesetz und Freiheit zurückzugeben. Wenige Tage später erhielt er einen bitteren Brief von Doña Maria Martínez aus Paris. Die Vortreffliche Dame beklagte sich, der Präsident
    habe ein »ungerechtes Bild«
    der ÄraTrujillo gezeichnet, ohne »all die guten Dinge, die mein Gatte ebenfalls getan hat und die Sie selbst einunddreißig Jahre lang so an ihm gelobt haben«. Aber es war nicht Maria Martí-nez, die dem Präsidenten Sorgen machte, sondern die Brüder Trujillos. Er erfuhr, daß Petán und Negro eine stürmische Unterredung mit Ramfis gehabt und ihm Vorhaltungen gemacht hatten: Wie konnte er bloß zulassen, daß dieser Hanswurst zur UNO ging, um seinen Vater zu verunglimpfen! Es sei Zeit, ihn aus dem Regierungspalast zu vertreiben und wieder die Familie Trujillo an die Macht zu bringen, wie es das Volk verlangte! Ramfis gab zu bedenken, daß ein von ihm durchgeführter Staatsstreich unvermeidlich die Invasion der marines nach sich zöge: das hatte John Calvin Hill ihm persönlich erklärt. Die einzige Möglichkeit, etwas zu bewahren, bestehe darin, die Reihen hinter dieser fragilen Legalität – dem Präsidenten – zu schließen. Balaguer gehe geschickt zu Werke, um die Aufhebung der Sanktionen durch die OAS und das State Department zu erreichen. Dazu sehe er sich gezwungen, Reden wie die vor der UNO zu halten, die seinen Überzeugungen entgegenstünden. Bei dem Treffen, das er mit dem Mandatar nach dessen Rückkehr aus New York hatte, zeigte er sich jedoch sehr viel weniger tolerant. Sein Groll war so heftig, daß der Bruch unvermeidlich schien.
    »Wollen Sie Papi weiter angreifen, wie Sie es vor der Generalversammlung getan haben?« Ramfis, der auf demselben Stuhl saß wie der Chef bei seinem letzten Gespräch Stunden vor seiner Ermordung, sprach, ohne ihn anzusehen, den Blick aufs Meer gerichtet. »Ich habe keine andere Wahl, Herr General«, nickte der Präsident betrübt. »Wenn ich will, daß man

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