Das Fest des Ziegenbocks
einer Entfernung von zwanzig oder dreißig Metern erkannten sie jedesmal, daß es nicht der Chevrolet war, und sanken entspannt und enttäuscht in ihre Sitze zurück. Es war Imbert, der seine Gefühle am besten beherrschen konnte. Er war immer schweigsam gewesen, aber in den letzten Jahren, seitdem der Gedanke, Trujillo zu töten, sich seiner bemächtigt hatte und sich wie ein Schmarotzer von seiner Energie ernährte, war seine Einsilbigkeit noch stärker geworden. Er hatte nie viele Freunde gehabt; in den letzten Monaten hatte sich sein Leben auf sein Büro in der Firma Mezcia Lista, sein Zuhause und die täglichen Treffen mit Estrella Sadhalá und Leutnant García Guerrero beschränkt. Nach dem Tod der Schwestern Mirabal hörten die heimlichen Versammlungen praktisch auf. Die Repression fegte die Bewegung 14. Juni hinweg. Wer entkommen konnte, zog sich ins Familienleben zurück und versuchte, nicht aufzufallen. Immer wieder ängstigte ihn eine Frage: ›Warum hat man mich nicht festgenommen?‹ Er fühlte sich unwohl in dieser Ungewißheit, als hätte er irgendeine Schuld, als wäre er verantwortlich für das große Leid derer, die sich in den Händen von Johnny Abbes befanden, während er weiterhin in Freiheit lebte. Eine im übrigen sehr relative Freiheit. Seitdem er begriffen hatte, in was für einem Regime er lebte, was für einer Regierung er seit jungen Jahren gedient hatte und noch immer diente -was tat er anderes als Geschäftsführer einer der Fabriken des Klans? – , fühlte er sich als Gefangener. Vielleicht hatte sich der Gedanke, Trujillo zu beseitigen, deshalb so stark in sein Bewußtsein gebrannt, weil er sich von dem Gefühl befreien wollte, daß seine sämtlichen Schritte kontrolliert wurden, daß sämtliche Wege und Bewegungen vorgezeichnet waren. Die Ernüchterung in bezug auf das Regime war in seinem Fall allmählich erfolgt, ein langsamer, unterschwelliger Prozeß, der sehr viel früher begonnen hatte als die politischen Konflikte seines Bruders Segundo, der Trujillo noch mehr verehrt hatte als er. Wer tat das nicht in seiner Umgebung vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren? Alle hielten den Ziegenbock für den Retter des Vaterlandes, denn er hatte den Kriegen der Caudillos, der Gefahr einer erneuten Invasion durch Haiti ein Ende gemacht, die demütigende Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten beendet – die die Zölle kontrollierten, eine dominikanische Währung verhinderten und den Etat genehmigten – und im Guten oder im Bösen die Köpfe des Landes in die Regierung geholt. Was bedeutete es angesichts dessen, daß Trujillo sich die Frauen nahm, die er wollte? Oder daß er sich mit Fabriken, Landgütern und Viehherden eingedeckt hatte? Hatte er dieses Land nicht mit den mächtigsten Streitkräften der Karibik ausgestattet? Tony Imbert hatte diese Dinge zwanzigjahre seines Lebens gesagt und verteidigt. Das war es, was ihm jetzt den Magen umdrehte.
Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie alles begonnen hatte, die ersten Zweifel, Ahnungen, Meinungsverschiedenheiten, die ihn veranlaßten, sich zu fragen, ob wirklich alles so gut ging oder ob sich hinter dieser Fassade eines Landes, das unter der strengen, aber inspirierten Führung eines außergewöhnlichen Staatsmannes im Eiltempo Fortschritte machte, nicht ein finsteres Schauspiel zerstörter, mißhandelter und getäuschter Menschen abspielte, die feierliche Einsetzung einer ungeheuren Lüge mit Hilfe von Propaganda und Gewalt. Kleine Tropfen, die unermüdlich fielen und seinen Glauben an Trujillo aushöhlten. Als er den Gouverneursposten in Puerto Plata verließ, war er in seinem Herzen schon kein Trujillo-Anhänger mehr, sondern überzeugt, daß das Regime diktatorisch und korrupt war. Er sprach mit niemandem darüber, nicht einmal mit Guarina. Nach außen hin war er weiter trujillotreu, denn obwohl sein Bruder Segundo ins freiwillige Exil nach Puerto Rico gegangen war, bedachte das Regime zum Beweis seiner Großzügigkeit Antonio weiterhin mit Posten, sogar – gab es einen größeren Vertrauensbeweis? – in den Unternehmen der Familie Trujillo.
Es war dieses langjährige Unbehagen gewesen, tagtäglich gegen das eigene Denken zu handeln, das ihn in seinem tiefsten Innern dazu gebracht hatte, Trujillo zum Tode zu verurteilen, sich die Überzeugung zu eigen zu machen, daß, solange er lebte, er und zahllose Dominikaner zu dieser schrecklichen Mißgestimmtheit und Unzufriedenheit mit sich selbst verurteilt wären, dazu, sich ständig zu
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