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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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entschlüpft, die darauf hindeuteten, daß viele Leute an der Sache beteiligt waren. Tony hatte die Vorsicht so weit getrieben, daß er Salvador einmal den Mund zuhielt, als dieser empört zu erzählen begann, er und Antonio de la Maza hätten während eines Treffens bei General Juan Tomás Díaz eine Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Verschwörern gehabt, die Einwände gegen Im
    berts Beteiligung an der Verschwörung erhoben. Sie hielten ihn aufgrund seiner trujillotreuen Vergangenheit nicht für verläßlich; jemand erinnerte an das berühmte Telegramm an Trujillo, in dem er ihm angeboten hatte, Puerto Plata zu verbrennen. (›Es wird mich bis zu meinem Tod und noch nach meinem Tod verfolgen.‹) Der Türke und Antonio hatten protestiert und gesagt, sie würden die Hand für Tony ins Feuer legen. Dieser ließ Salvador jedoch nicht ausreden:
    »Ich will es nicht wissen, Türke. Warum sollten mir Leute, die mich nicht gut kennen, vertrauen? Es stimmt ja, ich habe mein ganzes Leben lang für Trujillo gearbeitet, direkt oder indirekt.«
    »Und was mache ich«, erwiderte der Türke. »Was machen dreißig oder vierzig Prozent der Dominikaner? Arbeiten wir etwa nicht auch für die Regierung oder ihre Unternehmen? Nur die ganz Reichen können sich den Luxus erlauben, nicht für Trujillo zu arbeiten.«
    ›Nicht mal sie‹, dachte er. Auch die Reichen mußten sich, wenn sie reich bleiben wollten, mit dem Chef arrangieren, ihm einen Teil ihrer Unternehmen verkaufen oder einen Teil der seinen kaufen und auf diese Weise zu seiner Größe und Macht beitragen. Mit halb geschlossenen Augen, eingelullt vom sanften Rauschen des Meeres, dachte er, wie teuflisch das System war, das Trujillo geschaffen hatte, ein System, an dem alle Dominikaner früher oder später als Komplizen beteiligt waren, ein System, vor dem sich nur die Exilanten (nicht immer) und die Toten retten konnten. Alle im Land waren in der einen oder anderen Weise Teil des Regimes gewesen, waren es noch oder würden es sein. »Das Schlimmste, was einem Dominikaner passieren kann, ist, intelligent oder fähig zu sein«, hatte er Alvaro Cabral einmal sagen hören (›Ein sehr intelligenter und fähiger Dominikaner‹, sagte er sich), und der Satz hatte sich ihm eingeprägt: »Weil ihn Trujillo nämlich früher oder später rufen wird, damit er dem Regime oder seiner Person dient, und wenn er ruft, ist es nicht gestattet, nein zu sagen.« Er selbst war ein Beweis für diese Wahrheit. Nie war ihm der Gedanke gekommen, seinen Ernennungen den geringsten Widerstand entgegenzusetzen. Wie Estrella Sadhalá sagte, der Ziegenbock hatte den Menschen das heiligste Attribut genommen, das Gott ihnen gegeben hatte: den freien Willen.
    Im Unterschied zum Türken hatte die Religion in Antonio Imberts Leben nie eine zentrale Rolle gespielt. Er war katholisch auf dominikanische Art, war durch alle religiösen Zeremonien gegangen, die das Leben der Menschen prägen -Taufe, Erstkommunion, Firmung, katholische Schule, kirchliche Heirat – , und er würde zweifellos ein Begräbnis mit geistlichem Sermon und Segen erhalten. Aber er war nie ein besonders bewußter Gläubiger gewesen oder hatte sich gar über die Auswirkungen seines Glaubens auf das tägliche Leben Gedanken gemacht oder herauszufinden versucht, ob sein Verhalten im Einklang mit den Geboten stand, wie es Salvador in einer Weise tat, die ihm krankhaft erschien.
    Aber das mit dem freien Willen hatte in ihm nachgewirkt. Vielleicht hatte er deshalb beschlossen, daß Trujillo sterben sollte. Damit er und alle Dominikaner die Fähigkeit zurückgewinnen könnten, zumindest die Arbeit anzunehmen oder abzulehnen, mit der sie sich ihren Lebensunterhalt verdienten. Tony wußte nicht, was das war. Als Kind hatte er es vielleicht gewußt, aber er hatte es vergessen. Es mußte eine schöne Sache sein. Die Tasse Kaffee oder das Glas Rum mußten besser schmecken, der Rauch des Tabaks, das Bad im Meer an einem heißen Tag, der Film am Samstag oder die Merengue-Musik aus dem Radio mußten sich angenehmer auf Körper und Seele auswirken, wenn man über das verfügte, was Trujillo den Dominikanern vor nunmehr einunddreißig Jahren genommen hatte: den freien Willen.

X

    Als sie die Türklingel hören, verharren Urania und ihr Vater reglos und schauen sich an, als hätte man sie bei einem Vergehen ertappt. Stimmen im Erdgeschoß und ein überraschter Ausruf. Eilige Schritte, die die Treppe hochkommen. Die Tür öffnet sich fast gleichzeitig

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