Das Fest des Ziegenbocks
großzügig gewesen zu sein: Du warst die erste Absolventin dieser Universität, die in Harvard angenommen wurde und an der angesehensten Universität der Welt mit Ehren ihren Abschluß machte. Adrian, Michigan! So viele Jahre war sie nicht mehr dort gewesen. Bestimmt war es nicht mehr dieses Provinznest von Farmern, die sich bei Sonnenuntergang in ihre Häuser zurückzogen, so daß die Straßen verlassen dalagen, von Familien, deren Horizont nur bis zu den Nachbardörfchen reichte, die sich wie Zwillinge ausnahmen – Clinton und Chelsea – und deren größtes Vergnügen darin bestand, am berühmten Grillhuhnfest in Manchester teilzunehmen. Ein sauberes Städtchen, Adrian, hübsch, vor allem im Winter, wenn der Schnee die geraden Straßen – wo man Eislaufen und Skifahren konnte – mit den weißen Baumwollflocken zudeckte, die du fasziniert vom Himmel fallen sahst und aus denen die Kinder Figuren formten, und in dem du vor Bitterkeit, vielleicht vor Langeweile gestorben wärst, wenn du dich nicht in dein Studium gestürzt hättest. Ihre Cousine redet ohne Pause.
»Wenig später haben sie Trujillo umgebracht, und dann kam all das Unheil. Weißt du, daß die caliés in die Schule gestürmt sind? Sie haben die Sisters geschlagen, Sister Heien Claire hatte das Gesicht voller blauer Flecken und Kratzer, und sie haben Badulaque getötet, den Schäferhund. Fast hätten sie auch unser Haus angesteckt, wegen der Verwandtschaft mit deinem Papa. Sie sagten, Onkel Agustín habe dich in die Vereinigten Staaten geschickt, weil er ahnte, was kommen würde.« »Na ja, das auch, er wollte mich forthaben von hier«, unterbricht Urania sie. »Obwohl er in Ungnade gefallen war, wußte er, daß die Trujillo-Gegner Rechenschaft von ihm fordern würden.«
»Auch das verstehe ich«, murmelt Lucinda. »Aber nicht, daß du nichts mehr von uns wissen wolltest.« »Da du immer ein gutes Herz gehabt hast, wette ich, daß du nicht böse auf mich bist«, sagt Urania lachend. »Hab ich recht?«
»Natürlich nicht«, nickt ihre Cousine. »Wenn du wüßtest, wie sehr ich meinen Vater gedrängt habe, mich in die Vereinigten Staaten zu schicken. Zu dir, an die Siena Heights University. Ich hatte ihn überzeugt, glaube ich, als das Desaster passierte. Alle begannen über uns herzufallen, fürchterliche Lügen über die Familie zu verbreiten, nur weil meine Mutter die Schwester eines Trujillo-Anhängers war. Niemand erinnerte sich daran, daß Trujillo deinen Vater am Ende wie einen Hund behandelt hatte. Du hast Glück gehabt, daß du in diesen Monaten nicht hier warst, Uranita. Alle waren halbtot vor Angst. Ich weiß nicht, wieso sie Onkel Agustín nicht das Haus über dem Kopf angezündet haben. Aber sie haben es mehrmals mit Steinen beworfen.«
Sie wird von einem kurzen Klopfen an der Tür unterbrochen.
»Ich wollte Sie nicht stören.« Die Krankenschwester zeigt
auf den Invaliden. »Aber es ist Zeit für ihn.«
Urania schaut sie verständnislos an.
»Für sein Geschäft«, erklärt ihr Lucinda mit einem Blick auf den Nachttopf. »Er ist pünktlich wie eine Uhr. Was für ein Glück. Ich habe Verdauungsprobleme und esse Trockenpflaumen. Die Nerven, heißt es. Schön also, gehen wir ins Wohnzimmer.«
Während sie die Treppe hinuntergehen, muß Urania an die Monate und Jahre in Adrian denken, an die strenge Bibliothek mit den hohen Glasfenstern, neben der Kapelle und dem Speisesaal, in der sie den größten Teil der Zeit verbrachte, wenn sie nicht in Vorlesungen oder Seminaren saß. Wo sie studierte, las, Hefte vollkritzelte, Aufsätze, Buchexzerpte schrieb, in dieser methodischen, intensiven, hochkonzentrierten Weise, die die Lehrer so an ihr schätzten und die einige Kommilitoninnen bewunderten und andere haßten. Es war nicht der Wunsch, zu lernen, erfolgreich zu sein, der dich in die Bibliothek trieb, sondern das Bedürfnis, dich zu betäuben, dich in diesen Materien zu verlieren – Wissenschaft oder Literatur, das war egal – , um nicht denken zu müssen, um die dominikanischen Erinnerungen zu verdrängen.
»Aber du bist ja in Sportkleidung«, bemerkt Lucinda, als sie im Wohnzimmer sind, vor dem Fenster, das auf den Garten hinausgeht. »Sag bloß, du hast heute morgen schon Aerobic gemacht.«
»Ich bin auf der Uferpromenade gelaufen. Und als ich zurück ins Hotel wollte, haben mich die Füße hierher getragen, so, wie ich bin. Seit meiner Ankunft vor zwei Tagen wußte ich nicht, ob ich zu ihm gehen sollte oder nicht. Ob es ein großer
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