Das Fest des Ziegenbocks
von ihrer Graduiertenfeier – ein Morgen mit strahlender Sonne, die den Yard mit seinen Markisen, mit den eleganten Kleidern und viel-farbenen Baretten und Togen der Professoren und Graduierten erleuchtete –, das gleiche wie im Schlafzimmer des Senators Cabral. Wie hatte er es wohl bekommen? Sie hatte es ihm natürlich nicht geschickt. Ah, Sister Mary. Dieses Photo hatte sie ihr an die SantoDomingo-Schule geschickt; bis zum Tod der Nonne stand Urania mit Sister Mary in Briefwechsel. Diese karitative Seele hatte den Senator Cabral bestimmt über Uranias Leben auf dem laufenden gehalten. Sie sieht sie in der Erinnerung auf das Geländer des Balkons gestützt, der nach Südosten geht, den Blick aufs Meer gerichtet, im oberen Stockwerk, wo die Nonnen lebten und die Schülerinnen keinen Zutritt hatten; ihre dürre Gestalt schrumpfte in der Entfernung, vom Hof aus, in dem die Schäferhunde – Badulaque und Brutus – zwischen den Tennisplätzen, dem Volleyballfeld und dem Swimmingpool herumtollten.
Es ist heiß, sie ist schweißnaß. Nie hat sie einen solchen Hitzedunst, einen ähnlichen vulkanischen Hauch in den ebenfalls heißen New Yorker Sommern erlebt, die die Kaiduft der Klimaanlagen jedoch erträglicher macht. Dies war eine andere Hitze: die Hitze ihrer Kindheit. Auch nicht diese Symphonie aus Huptönen, Stimmen, Musik, Gebell, kreischenden Bremsen, die durch die Fenster dringt und sie und ihre Cousine zwingt, laut die Stimme zu heben. »Stimmt es, daß Johnny Abbes Papa verhaftete, als sie Trujillo umbrachten?«
»Hat er dir das nicht erzählt?« sagt ihre Cousine überrascht.
»Da war ich schon in Michigan«, erinnert sie Urania. Lucinda nickt, mit einem halben entschuldigenden Lächeln. »Natürlich hat er ihn verhaftet. Die drehten doch alle durch, Ramfis, Radhamés, die Trujillo-Leute. Sie machten sich daran, die Leute aufs Geratewohl umzubringen und ins Gefängnis zu werfen. Na ja, ich erinnere mich nicht so genau. Ich war ein kleines Mädchen, Politik war mir piepegal. Wegen der Distanzierung zwischen Onkel Agustín und Trujillo dachten sie bestimmt, daß er an dem Komplott beteiligt war. Sie steckten ihn in dieses schreckliche Gefängnis, La Cuarenta, das Balaguer später abreißen ließ, wo jetzt eine Kirche steht. Meine Mama ging zu Balaguer, um mit ihm zu sprechen, ihn anzuflehen. Sie hielten ihn mehrere Tage fest, bis sie herausfanden, daß er nicht an der Verschwörung beteiligt war. Danach gab der Präsident ihm einen elenden kleinen Posten, der wie ein Witz wirkte: Gehilfe im Personenstandsregister des Dritten Bezirks.«
»Hat er euch erzählt, wie man ihn in La Cuarenta behandelt
hat?«
Lucinda stößt einen Mundvoll Rauch aus, der einen Augenblick lang ihr Gesicht vernebelt.
»Vielleicht meinen Eltern, aber nicht Manolita und mir, wir waren noch zu klein. Onkel Agustín schmerzte es, daß sie dachten, er könnte Trujillo verraten haben. Jahrelang hörte ich ihn über die himmelschreiende Ungerechtigkeit klagen, die man ihm angetan hatte.«
»Dem treuesten Diener des Generalissimus«, sagt Urania spöttisch. »Er, der imstande war, für Trujillo Greueltaten zu begehen, verdächtigt, Komplize seiner Mörder zu sein. Was für eine Ungerechtigkeit, wahrhaftig!« Sie verstummt, weil sich im runden Gesicht ihrer Cousine Mißbilligung malt.
»Ich weiß nicht, warum du das mit den Greueltaten sagst«, murmelt sie verwundert. »Vielleicht hat mein Onkel sich mit seinem Glauben an Trujillo geirrt. Jetzt sagen sie, er war ein Diktator und so. Dein Vater hat ihm in gutem Glauben gedient. Trotz seiner hohen Ämter hat er sich nicht bereichert. Hat er es etwa getan? Er verbringt seine letzten Jahre wie ein armer Hund; ohne dich wäre er in einem Altersheim.«
Lucinda versucht offenbar, den Verdruß zu zügeln, der sich ihrer bemächtigt hat. Sie zieht ein letztes Mal an ihrer Zigarette, und da sie nicht weiß, wo sie sie ausdrücken soll – es gibt keine Aschenbecher im vernachlässigten Wohnzimmer –, wirft sie sie durchs Fenster in den verdorrten Garten.
»Ich weiß sehr wohl, daß mein Vater Trujillo nicht aus Gewinnsucht gedient hat.« Urania kann den sarkastischen Unterton nicht vermeiden. »Das erscheint mir nicht als mildernder Umstand. Eher erschwerend.« Ihre Cousine schaut sie verständnislos an. »Er hat es aus Bewunderung, aus Liebe zu ihm getan«, erklärt Urania. »Natürlich war es verletzend für ihn, daß Ramfis, Abbes García und die anderen ihm mißtrauten. Ihm, der fast
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