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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Gericht?«
    »Es soll ein Geheimnis sein«, antwortete John. »Es soll Euch etwas verraten, wovon Ihr nichts wusstet. Etwas über mich.«
    Mister Pouncey kam die Treppe von der Küche herauf, als John an diesem Nachmittag hinunterging. Für gewöhnlich begnügte der Haushofmeister sich mit einem knappen Nicken, wenn John seine Mütze abnahm. Doch an diesem Tag bedachte Mister Pouncey John zu dessen Überraschung mit einem fragenden Blick, gefolgt von einem Nicken und wissenden Lächeln, als bestünde ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen ihnen. John ging in die Küche hinunter und trat in den Raum der Vorbereitungsbrigade.
    »Mister Bunce?«, sagte er. »Kennt Ihr einen Apfel, den man Evaapfel heißt?«
     
    Am nächsten Tag sah Pole John durchdringend an. Doch sie nickte zustimmend, als er ihr die Riesenknödel zur Prüfung hinhielt. Lucretia hatte sich die Haare zu Flechten aufgesteckt, sah er, als er ihr Gemach betrat. Und ein unvertrauter Duft hing in der Luft.
    »Habt Ihr hier Blumen, Euer Ladyschaft?«, fragte er, nachdem Pole gegangen war.
    »Blumen?« Lucretia führte eine Hand an die Wange. »Gewiss habt Ihr schon einmal Rosenwasser gerochen?«
    In der Sonnengalerie, erinnerte sich John. Der Duft kitzelte in seiner
Nase, als er sich vorbeugte, um den ersten Knödel zu öffnen. Der weiche Teig gab nach, und ein Dampfwölkchen reicherte die Luft mit einem neuen süßen Duft an. Lucretia sah neugierig auf die glitzernde Masse und schaute John fragend an. »Was ist das?«
    »›Ich lass dich kosten honigsüßen Seim‹«, zitierte John. »›So kühl, als hüllte er den heißen Evaapfel ein.‹«
    Sie starrte ihn erstaunt an. »Die Verse? Ihr könnt lesen?«
    »Ist das bei einem Koch so verwunderlich?«
    »Ich ... nein.« Lucretia fasste sich wieder. »Gewiss müsst Ihr Eure Rezepte lesen können.«
    »Es sind unsere Gedichte, Euer Ladyschaft. Wir tragen sie einander unten in unseren Küchen laut vor.«
    John holte eine verkorkte Taschenflasche aus seinem Wams und goss gesüßte Sahne über den Apfel. Er sah zu, wie Lucretia ihren Löffel in das weiche Fleisch des Apfels grub, die dicke Sahne einrührte und die streifige Mischung zum Mund führte.
    »Euer honigsüßer Seim ist so süß, wie die Verse behaupten«, sagte sie nach dem ersten Bissen. »Er ist ein würdiger Widerpart zur Säure des Evaapfels.«
    »Es freut mich, dass das Gericht Eurer Ladyschaft mundet.«
    Er sah zu, wie sie die letzten Sahnereste von ihren Lippen leckte. Dann war die unnahbare Miene wieder da. Lucretia erhob sich.
    »Die Königin hat mir ein Kleid geschenkt. Ein prachtvolles Kleid. Ich sollte es bei Hofe tragen.« Sie hob den Deckel der Truhe und holte das Kleid heraus. Die Seide entfaltete sich raschelnd. Lucretia zog sich das glänzende Kleid über den Kopf. »Meint Ihr, ich werde es tragen?«
    John starrte ihren in silbrigblaue Seide gehüllten Körper an.
    »Ich weiß«, sagte Lucretia, als er nicht antwortete. »Es passt mir nicht.« Sie langte mit der Hand hinter den Rücken, um das Kleid enger zu ziehen. »Ist es so besser?«
    »Ja«, brachte John hervor. »So ist es besser, Lady Lucretia.«
    »Verlangen kann man austauschen, hat Ihre Majestät mir erklärt«, sagte Lucretia. »Warum nicht auch Abscheu?«

    Sie sprach von Piers, erkannte John. Sie hatte ihren Entschluss gefasst. Er deutete auf das Servierbrett.
    »Esst, Euer Ladyschaft.«
    »Ich werde es essen, John Saturnall.« Sie klopfte mit dem Löffel gegen den zweiten Knödel. »Sobald Ihr es für mich angerichtet habt.«
    Apfelduft und Rosenwasser stiegen ihm abermals in die Nase, als er sich vorbeugte. Er neigte sich über Lucretia, um den weichen Teig zu zerteilen, und roch den schwachen warmen Geruch ihrer Haut. Er spürte eine leichte Berührung an seinem Gesicht. Eine Strähne hatte sich aus ihren Flechten gelöst. Unwillkürlich strich er ihr die Strähne hinter das Ohr zurück. Seine Finger berührten ihre Wange, und er ließ sie auf der weichen Rundung ihrer Haut ruhen. Sie sah auf, die Augen weit geöffnet.
    »Ist das Euer Geheimnis, John Saturnall?«
    Der süße Duft von Äpfeln, verwoben mit Lucretias eigenem Parfum. Er spürte ihren warmen Atem. O ja, dachte er. Ein Geheimnis, bis jetzt.
    Sie hielt noch immer den Löffel in der Hand. Er beugte sich tiefer und sah, dass ihre Lippen sich öffneten. Mit einem Mal war alles klar. Im nächsten Augenblick würden ihre Lippen sich berühren. Er würde ihren Mund schmecken. Er spürte, wie ihr warmer Atem

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