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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Zauberkunststück?«
    Das kalte Ragout in den groben Roggenteig einzuwickeln war am schwierigsten gewesen. Und dann den Teig zu verschließen und ein Luftloch einzukerben, damit er nicht platzte. Im Ofen hatte John seine Erfindung alle paar Minuten gewendet. Langsam war die Pastete gebacken. John hatte das Luftloch abgedichtet und sich dann daran
gemacht, den Brotlaib auszuhöhlen. Auf seine Einladung hatte Simeon die Überreste im Handumdrehen verspeist. Nun beobachtete John, wie Lucretias Nasenflügel zuckten. Von der Treppe waren Poles und Fanshawes Stimmen zu hören. Lucretias Misstrauen wich Verwunderung.
    »Sie werden herausbekommen, dass Ihr es hergebracht habt.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Dass Ihr versucht habt, sie zu täuschen.«
    Er zuckte wieder die Achseln.
    »Ihr werdet Eure Stelle verlieren. Sie werden Euch entlassen.«
    Er sah zu ihr hinunter.
    »Nicht, wenn Ihr es esst.«
    Lucretia sah auf das schmelzende Fleisch in seiner schimmernden Sauce und dann zu dem dunkelhaarigen jungen Mann hinüber.
    »Warum?«
    Statt zu antworten, hielt John ihr einen Löffel hin.
     
    Peter Pears, Adam, Alf und Jed Scantlebury lachten und klopften ihm auf den Rücken. Simeon lachte so laut, dass man ihn auffordern musste, sich zu mäßigen. Die anderen umstanden John und schlugen auf den Arbeitstisch, dass Spachteln und Teigrädchen klapperten.
    »Sie hat es runtergeschlungen!«, wiederholte John.
    Peter nickte bewundernd. »Und wann willst du Pouncey einweihen?«
    »Ach, das eilt nicht«, sagte er beiläufig. »Zuvor will ich ihr noch ein paar Essen servieren.«
    Die anderen nickten. Aber Philip runzelte die Stirn.
    »Es sei denn, sie erwischen dich vorher.«
    John grinste. »Das wird ihnen kaum gelingen.«
    Am nächsten Tag sah Mistress Pole auf eine Pastete. Danach kam eine voluminöse Torte. Dann wartete er mit einer Schicht aus gebackenen Pastinaken auf und danach mit einem Brotpudding. Lucretias Erzieherin kam zurück und fand die Pastete unversehrt vor, die Torte
unberührt, die gebräunte Oberfläche des Brotpuddings so jungfräulich wie bei seiner Ankunft.
    »Vielleicht sollten die Gerichte nicht gar zu schlicht sein, vielleicht könnte man sie ein wenig verschönern«, schlug Pole im Flur vor. John nickte ernst.
    Am nächsten Tag ragten kleine Segel von Parmänenscheiben aus kunstvoll geflochtenem Gebäck, und jedes Segel krönte ein Wimpel aus Zimt und Zucker. Pole betrachtete die bunte Flotte mit Wohlgefallen. Hinter ihrem Rücken sah John Lucretia die Lippen schürzen.
    In den ersten Tagen war sie auf der Hut und nahm, was er ihr anbot, voller Argwohn entgegen. Doch nach und nach aß sie bereitwilliger. Er wartete wortlos wie zuvor. Doch nun lastete das Servierbrett nicht mehr auf seinen Händen. Das Schweigen bedrückte ihn nicht mehr. Die Minuten zogen sich nicht mehr endlos dahin. Immer häufiger überraschte John die Glocke, die das Ende der Mittagsmahlzeit verkündete.
    »Kein Krumen«, flüsterte John vor sich hin, als Lucretia den Mund öffnete, um die letzten der winzigen Törtchen zu verzehren, die er an diesem Tag für sie versteckt hatte. Die junge Frau sah auf.
    »Findet Ihr meinen Hunger komisch, John Saturnall?«
    »Hunger ist nie komisch, Euer Ladyschaft.«
    Weit weg im Gang mischte sich Poles leises Gekicher mit Fanshawes tieferen Tönen. Lucretia schob sich ein letztes Blätterteigflöckchen in den Mund, dann musterte sie John neugierig.
    »Warum?«, fragte sie. »Warum bedient Ihr mich so?«
    »Ich sagte es schon. Ich bin Koch, Euer Ladyschaft. Von Mister Pouncey zu Eurem Koch bestimmt.«
    »Ihr seid eine verschworene Gemeinschaft dort unten, nicht wahr? Gemma hat mir davon erzählt.«
    »Das sind wir, Euer Ladyschaft.«
    »Ihr könntet wieder bei Euren Kameraden sein. Ihr müsstet nur Mister Pouncey berichten. Dann müsstet Ihr mir nicht mehr aufwarten.«

    John zuckte die Achseln, als wäre ihm das gleichgültig. Lucretia sah ihn eindringlich an.
    »Das müsstet Ihr dann nicht, oder?«
    »Nein«, räumte John ein. »Das müsste ich dann nicht.«
    »Und dennoch tut Ihr es.«
    Sie sah zu John hoch, mit fragender Miene. Die Gerichte seien Beweis seiner Kunst, würde Scovell sagen. Das wäre Grund genug, sie zu bereiten. Sie seien für alle bestimmt, würde seine Mutter hinzufügen. Sogar für die Tochter des Gutsherrn des Tals von Buckland. Die unterschiedlichen Antworten wetteiferten in Johns Gedanken, und neben ihnen gab es eine weitere, die er spürte wie einen Duft in einem Gewirr

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