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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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voller Papierstapel saß der Haushofmeister. Seine dünnen Haare waren lang und ungepflegt. Seine Miene war verhärmt. Er trug noch immer seine silberne Kette. Lucretia, Gemma und John sahen, wie er ein Gewicht von einem der Papierstapel nahm und die Papiere studierte. Doch was er dort entdeckte, schien nicht das Gesuchte zu sein, denn er legte das Gewicht zurück und streckte die Hand nach einem anderen aus.
    »Mister Pouncey«, sagte Gemma freundlich. »Ihre Ladyschaft ist hier.«
    Der Haushofmeister schüttelte den Kopf. »Nicht bereit«, murmelte er.
    »Oberst Marpots Männer haben ihn aus dem Haus gezerrt«, sagte Lucretia. »Als er Widerstand bot ...«
    »Sie haben Ruten geschnitten«, sagte John. »Sie haben ihn gezwungen, eine Gigue zu tanzen.«
    »Ja.« Lucretia warf ihm einen eigenartigen Blick zu. Die Erwähnung seiner Folterknechte schien Mister Pouncey aus der Fassung zu bringen. Er schlug das Gewicht auf den Tisch.
    »So ist es!«, rief er. »Tanzt eure Sünden weg!«
    »Genug, Sir«, sagte Gemma tröstend und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Ruht Euch aus.« Sie half dem Haushofmeister von seinem Stuhl auf und führte ihn zu seinem schmalen Bett. John und Lucretia zogen sich in den modrig riechenden Flur zurück. Es war das erste Mal, dass sie allein zusammen waren, seit Pouncey in Lucretias Zimmer erschienen war.
    »Ich sah Euer Gesicht, als wir abmarschiert sind.«
    Unter der dünnen Baumwolle ihres Umschlagtuchs strafften sich ihre Schultern.
    »So etwas müsst Ihr aus Euren Gedanken verbannen«, erwiderte sie.
    »Das kann ich nicht«, sagte er. »Und Ihr könnt es auch nicht.«

    Er erinnerte sich an den süßen Duft der Äpfel in ihrem Gemach. An ihre Lippen, die sich vor seinen geöffnet hatten. Kein Haushofmeister würde sie dieses Mal stören. Doch als er auf sie zutrat, hob sie die Hand.
    »Ich bin verlobt, Master Saturnall. Habt Ihr das vergessen?«
    »Verlobt mit Piers«, sagte John wegwerfend.
    Auf ihren Wangen malten sich zwei Farbtupfer. »Master Piers hat tapfer gekämpft«, gab sie zurück.
    »Tapfer?«
    »Man hat ihn dafür ausgezeichnet. In den Zeitungsblättern wurde darüber berichtet. Wie sein Pferd unter ihm weggeschossen wurde. Wie er ein neues Pferd einfing.«
    »Einfing?«
    »Lasst Euch sagen, dass Master Piers einen Baum erklomm und sich von seinen Ästen fallen ließ, um einen gegnerischen Kürassier zu übermannen. ›Callocks Sprung‹ heißt diese Tat seither. Und all das vollbrachte er mit einer Verwundung am Oberschenkel ...«
    »Oberschenkel?«, rief John fassungslos. »Es war ein Messerstich in den Hintern! Von seinem eigenen Vater! Piers rannte weg wie ein Hase!«
    Lucretia verschränkte mit steinerner Miene die Arme. »Solche Unverschämtheiten lasse ich mir nicht sagen.«
    John trat einen Schritt vor, doch Lucretia drehte den Kopf weg. Er blieb stehen, von ihrer Geste verblüfft.
    »Er ist Euch nicht zugetan«, sagte John leise. »Und das ist gegenseitig.«
    »Wir tauschen unser Verlangen nur aus«, erwiderte Lucretia. »Das sagte ich Euch bereits einmal. Wir können auch unsere Abneigung austauschen.«
     
    »Marpots Strauchdiebe haben alles mitgenommen, was ihnen ins Auge stach«, sagte Mister Bunce zu John. »Und was sie nicht mitnehmen konnten, haben sie zerstört. Gottes Lohn haben sie das genannt.«
    Die Vorratskammer enthielt Hafer, vier Säcke mit getrockneten Bohnenkernen, Schnüre getrockneter Apfelschnitze und einen einsamen
halben Zuckerhut Madeirazuckers, in Sackleinen eingewickelt, der hinter einem Dachsparren versteckt gewesen war. In der Speisekammer lagen einige eingetrocknete Brotlaibe auf den Regalbrettern über drei Säcken mit Mehl. In Melichert Roos’ Gewürzkammer gab es nichts als ein paar staubige Gefäße auf dem obersten Brett des Gestells, und aus Underleys Zerwirkkammer drang nur ein schwacher fauliger Geruch.
    John, Philip, Mister Bunce und Mister Stone wanderten die Gänge hinter dem Hauptraum der Küche entlang. Zersplitterte Bretter, die von einer Türangel hingen, waren alles, was von der Tür zu Scovells Gemach geblieben war. Im Zimmer lagen Bücher und Papiere auf dem Fußboden verstreut. Tisch und Stühle waren umgeworfen. John erschnupperte Ruß und den dumpfigen Geruch von feuchtem Stoff und Papier.
    »Hier unten waren sie zuerst«, sagte Bunce. »Dann sind sie nach oben gegangen und haben sich Pouncey geholt. Sie waren kaum mit ihm fertig, als sie Yapp an einem Seil aus dem Haus gezogen haben. Haben ihn an ihren

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