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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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einer schwarzen Jacke und einem kurzen schwarzen Umhang trat herein. In einer Hand hielt er eine Bibel. In der anderen die Handglocke. Das Gesicht mit den dicken Augenbrauen sah sich unter den Männern in der Küche um.
    »Unsere Gemeinde wächst«, verkündete Ephraim Clough. Dann erblickte er John. Überraschung malte sich auf seinem Gesicht. Ein Lächeln überzog seine ungeschlachten Züge.
    »Danken wir dem Herrn!«, rief er. »Er hat uns wieder eine verirrte Seele gesandt. Beten wir gemeinsam für ihre Läuterung.«

     
    Von dem Altar war nichts geblieben als eine rechteckige Narbe im Fußboden. Die Glasscheiben waren aus den Fenstern gebrochen, die kahlen Wände getüncht worden. Kanzel, Altarschranke und Kirchenbänke waren zusammen mit Lady Annes Empore beseitigt worden. Dort oben war nur noch eine unverputzte Wand mit einer kleinen Bohlentür zu sehen. Bucklands neuer Pastor musterte den versammelten Haushalt, breitete die Arme aus und ließ seinen kurzen Umhang flattern wie die Flügel einer monströsen Krähe.
    »Kniet nieder«, befahl Ephraim. »Wir wollen den Worten unseres Herrn lauschen.«
    Um John herum knieten alle aus dem Haushalt auf dem Steinfußboden nieder. In der ersten Reihe sah John zwischen Mistress Gardiner und Mistress Pole das schlichte Kleid und die schlichte Haube, die Lucretia trug. Gemma, Ginny und Meg knieten daneben. Hinter der Gemeinde standen an der Wand der Kapelle ein Dutzend Milizionäre, die ihre Musketen und Degen zu Boden gesenkt hielten. Vierzig von ihnen waren in Callock Marwood stationiert, hatte Mister Bunce John erzählt.
    »Der Herr sprach zu Moses«, hob Ephraim an. »Und Moses sprach zu dem Volk und sagte: Rüstet euch für den Krieg und erhebt euch gegen die Midianiter. Und es wurden aus Israel tausend von jedem Stamm ausgehoben, und Moses entsandte sie in den Krieg, und sie erschlugen alle Männer. Und sie erschlugen die Könige der Midianiter, die da hießen Zur und Hur ...«
    Trotz der Lumpen schien der Steinboden immer härter zu werden, während Clough weitersalbaderte. Neben sich sah John Philip und Alf, Adam, Colin und Luke. Jed Scantlebury kniete am Ende der Reihe. Clough hielt inne und sah auf das Meer von Köpfen.
    »All das sagte der Herr Moses«, verkündete Ephraim den stummen Gesichtern. »Und Moses sagte es den Kindern Israels. Die Midianiter hatten keine Gnade verdient. Reißt euch daher das Mitleid aus dem Herzen ...«
    John erinnerte sich an Pater Holes Geschichten über Dattelpalmen und Früchte und Sintfluten. Sie schienen zu einer anderen Welt als dieser
zu gehören. Ephraims Stimme bohrte sich in sein Gehirn, während sie Gottes Rachedurst und seine Schreckenstaten schilderte.
    »Nur für die Auserwählten hat Gott die Früchte seines Gartens ausersehen. Die Trauben seiner Reben und den Honig seiner Bienenkörbe. Für sie deckt er seine Tische mit Köstlichkeiten und Naschwerk. Für jene, die dem wahren Pfad folgen, richtet er Festmähler aus wie einst in Eden ...«
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das eintönige Geleier zu einem Ende fand.
    »Steht auf!«, befahl der Hauptmann zuletzt. Langsam erhoben sich die Mitglieder des Haushalts und halfen einander auf die Beine. Ephraim wartete an der Tür, ein selbstgefälliges Lächeln auf seiner Miene. Als John sich näherte, hob er die Hand.
    »Einen Augenblick, Master Saturnall.«
    Philip blieb neben John stehen, aber ein Milizionär schob ihn weiter. John beäugte seinen einstigen Gegner.
    »Vielleicht denkt Ihr, ich sei auf Rache aus«, sagte Ephraim. »Oder ich wollte Euch Eure früheren Vergehen an mir vergelten. Eure Hinterlist und Eure Gewalttätigkeit. Aber dem ist nicht so. Ich diene einer höheren Macht. Oberst Marpot hat mich von allen Gedanken geläutert, die mich von Gott entfernen könnten. Und so läutere ich diesen Haushalt von allem Tand und allen Eitelkeiten. Hohe wie Niedrige gleichermaßen.«
    Ephraim blickte in die Kapelle zurück. Nur Lucretia kniete noch auf dem Boden. Ein selbstgefälliges Grinsen überzog Cloughs Gesicht.
    »Nun dienen wir beide Lady Lucretia. Ihr in der Küche. Und ich hier, im Haus Gottes.«
    Mit diesen Worten trat Pastor Clough in die Kapelle zurück und schlug die Tür zu.
     
    »Was tun sie dort?«, fragte John Philip.
    »Gemma sagt, sie beten«, antwortete Philip.
    »Sonst nichts?«
    »Was sollen sie sonst tun?«

    Unter der Woche blieb Lucretia im Haus. Ohne die junge Frau zu sehen, konnte John das Innerste ihrer Gedanken so wenig erraten,

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