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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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den Backen des Kalbskopfs schnitt, hatte ein schönes Lächeln das Gesicht des anderen überzogen, als wäre ein lange missachtetes Gebet erhört worden.
    Gideons lautes Husten rief ihn zurück. Er blickte auf die Bibelworte, die er ausgesucht hatte, wendete sein fleckiges Gesicht den Kirchenbesuchern zu und stellte sein Stundenglas auf.
    »Die Gottlosen grünen wie das Gras«, verkündete er den Gemeindemitgliedern von St. Clodock’s. »Doch der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum.«
    Dies war eine seiner Lieblingsstellen. Gottlosigkeit war überall anzutreffen, erklärte Pater Hole. Doch zum Glück erhob der Stamm des Gerechten sich darüber, raubte den Gottlosen Sonnenlicht und Regen. Das war der Palmbaum. Das Böse verdorrte, so hatte er gesagt, wie er sich entsann, über den Tisch in seiner Stube gebeugt, während die Zoyland-Eiferer in seiner Kirche herumgebrüllt hatten. Das Gras der Gottlosen welkte und verdorrte ohne Pflege. Der Singsang war verstummt. Es ist vorbei, hatte er sich gesagt. Dann klirrte berstendes Glas. Und er saß mit der langen braunen Flasche, allein wie der Palmbaum, und wartete ...
    Und er hatte recht behalten. Bis der Konstabler mit seinen Männern von Carrboro herkam, waren Bruder Zoilus und seine schwarzgekleideten Männer längst weitergezogen. Zu den Weilern oben am Abhang.
Oder zu den Marschen der Tiefebene. In den dumpfigen Kapellen von Zoyland hatte Bruder Zoilus sich zuletzt gezeigt, als er nach dem Gottesdienst in der Abtei von Carrboro aus der Menge getreten war; er hielt die Bibel in gerechtem Zorn erhoben und benutzte sie als Waffe, mit der er dem Bischof die Nase brach. Zur Vergeltung hatten Hochwürden dem Mann die Hand abschlagen lassen.
    »So wird den Gottlosen ihr Unrecht vergolten, und sie werden um ihrer Bosheit willen vertilgt werden«, predigte Pater Hole seiner Gemeinde, als die letzten Sandkörner in seinem Stundenglas hinunterrieselten. »Sie werden zu Spreu. Gott wird sie in alle Winde verstreuen. Das ist das Los der Gottlosen.«
    Er stimmte die Gebete für den König und für Sir William im Gutshaus an. Er sah zu, wie Männer und Frauen sich von den Kirchenbänken erhoben. Seine Gedanken wanderten zu seinem Zimmer und zu der Flasche im Wandschrank. Er würde bis Sonnenuntergang warten, beschloss er. Schließlich war dies der Tag des Herrn. Ein Chor aus Husten, Schnüffeln, Murmeln und Scharren ertönte im Kirchenschiff.
    Am Ausgang segnete er seine Schutzbefohlenen und nahm sie in Augenschein. Die Schürfwunde in Ginny Lambes Gesicht sorgte für einen warnenden Blick an John Lambes Adresse. Maddy Oddbones geschwollener Bauch bewirkte einen tadelnden Blick und ein Kopfschütteln. Tom Hob erhielt einen Klaps mit seinem eigenen hölzernen Bierkrug, den er am Gürtel trug. Der Geruch vergorenen Apfelweins, der von Elijah Huxtable ausging, brachte Pater Hole dazu, den Mann mit einer Hand am Arm zu fassen.
    »Der neue Brunnen ist fast zwei Jahre alt, Elijah. Hast du sein Wasser schon gekostet?«
    »Brunnenwasser ist gut für Kinder und für Pferde, Pater«, murmelte der Mann. Pater Hole wechselte einen Blick mit Elijahs Bruder Leo, als die anderen vorbeischlurften. Der ältere Mann zuckte die Achseln.
    Er war ihr Hirte, dachte Pater Hole. Sie waren seine Herde. Wie Schafe wanderten sie in der Regel dorthin, wohin sie gehen wollten. Zum Schluss waren nur noch die Kinder da. Pater Hole ging mit ihnen
in die Kapelle und forderte sie auf, sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden zu setzen. Er hielt ein Stück Kreide hoch.
    »Wer möchte einen Palmbaum zeichnen?«
    Sie starrten ihn offenen Mundes an: Tobit Drury und Seth Chaffinge, Dando Candling, dessen Haare weißer waren als seine eigenen, Cassie und Abel Starling, die Dare-Kinder, Peggy Rawley, die immer eine Puppe an sich drückte, die Fenton-Mädchen und alle Übrigen. Er lächelte zu ihnen hinunter. Er stellte ihnen gerne unerwartete Fragen. Die sie sogar fassungslos machten. Gott könne verschwinden, hatte er ihnen einmal erzählt. Er könne wie Eis in einer Pfütze entschwinden. Wie Glas in einer Fensterscheibe.
    »Kommt schon«, schmeichelte er. »Wer mag zeichnen?«
    Pater Hole schwenkte die Kreide vor den ausdruckslosen Mienen. Vor dem inneren Auge sah er den Baumstamm wachsen und die breiten Zweige sich abwärts biegen wie Sensenblätter. Und dann erklang von hinten eine Stimme, die seines Wissens bislang kaum zu flüstern gewagt hatte.
    »Ich mag.«
    John stand auf; das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er

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