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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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hatte fast kein Wort der Predigt gehört. Während des Gebets hatte er nervös gezappelt. Die ganze Woche über hatte Cassies Aufforderung in seinen Gedanken gelauert. Warte nach dem Gottesdienst auf mich. Nun zwängte er sich an den anderen Kindern vorbei. Ein schwacher Verwesungsgeruch hing in der Kapelle. Ein Huxtable war im vergangenen Monat in einer der Gruften unter dem Fußboden bestattet worden. Der gleiche Geruch war aus dem alten Brunnen aufgestiegen, dachte John. Der Geruch feuchter Leichentücher. Aber warum sollte ein Brunnen nach Leichen riechen? Er nahm die Kreide aus Pater Holes Hand und zeichnete den Umriss des Palmbaums. Er zwang seine Hand, nicht zu zittern, als die Zweige mit ihren langen Blättern sich vom Baumwipfel ausbreiteten und zum Boden senkten.
    »Ja«, sagte Pater Hole, als er fertig war. »So hat Gott den Palmbaum geschaffen.«

    John stahl sich durch die Kinder zurück, die im Schneidersitz dasaßen. Hinten flüsterte Ephraim mit Tobit. Seth beäugte John. John blickte schnell zu Cassie. Er hatte das Mädchen mit der weißen Haube den ganzen Gottesdient über beobachtet, und ihre Worte hatten in seinem Kopf gedröhnt. Willst du es wissen? Warte ... Pater Hole erzählte ihnen gerade, wie der Schatten des Palmbaums sowohl die Schwachen schützte als auch dem Gras das Sonnenlicht vorenthielt. John wartete auf das Ende der Bibelstunde; ein Teil von ihm konnte es kaum erwarten, ein anderer Teil hoffte, dass der Priester ohne Unterlass weiterredete.
    Schließlich wurden sie entlassen. Die Kinder strömten hinaus, John wie immer als Erster. Doch diesmal blieb er am Tor stehen. Bei seinem Anblick rissen die kleineren Kinder die Augen auf. Cassie kam mit Tobit, Seth und Abel aus der Kirche. Ein verdrießlicher Ephraim folgte zusammen mit Dando. John wich nicht von der Stelle. Dann sah er Tobit die Stirn runzeln. Dando verengte die Augen zu Schlitzen. Er hatte sich getäuscht, dachte John plötzlich. Cassies Aufforderung war eine List gewesen. Er hatte sich zum Narren gemacht, und nun würden sie über ihn herfallen, wie sie es immer taten ... Die Jungen sahen einander an. Tobit trat vor.
    »Wir dachten, du wärst tot«, sprudelte es aus ihm heraus.
    »Alles war voll Blut«, ergänzte Seth.
    »Cassie hat gesagt, du hättest nicht mehr geatmet«, sagte Dando zu ihm. »Aber sie hat gebetet, und da bist du wieder lebendig geworden.«
    John erwiderte Dandos Blick; er wagte nicht, das Mädchen anzublicken. Doch als die Kinder zwischen ihm und Cassie hin- und hersahen, ertönte eine zweifelnde Stimme.
    »Stimmt das, Cassie?«, fragte Ephraim. »Du hast ihn ins Leben zurück gebetet?«
    Cassie schenkte dem älteren Jungen einen arglosen Blick. »Du glaubst mir nicht, Ephraim?«
    »Du hast für den Sohn einer Hexe gebetet?«
    Ephraim richtete seine Augen auf die anderen Kinder, suchte nach Unterstützung. Doch unter Cassies Einfluss erwiderten sie nur seinen
Blick. Niemand regte sich. Niemand erhob die Hand gegen John. Als Ephraim zu begreifen begann, verdüsterte sich seine finstere Miene noch mehr.
    »Ihr haltet mich für einen Narren«, rief er verächtlich. »Aber Ephraim Clough ist kein Narr. Aufseher Marpot weiß alles über ihn ...«
    Cassie schenkte Ephraim ihr strahlendstes Lächeln.
    »Gott antwortet, wenn es ihm beliebt«, sagte sie. »So sagt Bruder Timothy.«
    Der Junge in der dunklen Kleidung schüttelte den Kopf, aber die kleineren Kinder drängten sich schon vorwärts und umringten John, als wäre ein wildes Tier von den Bergen heruntergekommen und hätte begonnen, zahm das Gras des Dorfangers zu kosten.
    »Ist es wahr, dass deine Ma Schlangen beschwört?«, fragte Peggy Rawley, die ihre Puppe an sich gedrückt hielt.
    »War dein Pa wirklich ein Pirat?«, fragte der jüngste Riverett.
    »Oder ein schwarzer Mohr?«, fügte Bab Fenton kühn im Falsett hinzu.
    Und dann umringten sie ihn, plappernd und fragend. John stand mitten unter ihnen, nickte oder schüttelte den Kopf, und in seinem Inneren schwoll ein Glücksgefühl und wuchs und wuchs, bis er fast befürchtete, es könne platzen.
    »Und wer hat das Wasser in dem alten Brunnen verdorben?«, fragte eines der Suton-Mädchen.
    »Das war Marpot, als er nebenan einzog«, sagte Seth.
    Cassie schüttelte tadelnd den Kopf, und Ephraims Miene verfinsterte sich wieder, doch die anderen Kinder lachten. Dann nahm Seth seine Mütze, warf sie hoch in die Luft und blickte über ihre Köpfe.
    »Spielst du mit?«
    Es dauerte einen Augenblick, bis

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