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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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erwähnt hatte. Seine Welt war das abendliche Hinterzimmer des Dog. Nicht dieses Tal von Buckland. Oder das Dorf oder ein Junge, der auf einem Maultier festgebunden war. Nichts von alledem ging ihn etwas an. Er war ein Narr.
    »Ich kann lesen«, sagte er zu Joshua Palewick.
    Am Tag der Verkündigung Mariä im Jahre des Herrn sechzehnhundertundzweiunddreißig.
    An Sir William Fremantle, den Grundherrn des Tals von Buckland, von seinem Diener, dem Geistlichen Richard Hole, Vikar der Kirche St. Clodock’s im Dorf von Buckland.

    Mylord, die Gottlosen grünen wie das Gras, und der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon. Und so haben wir im Dorf von Buckland als eine Garnison der Glaubensfesten gedient, seit Sankt Clodock seinen Eid schwor und mit Fackel und Axt der Hexe den Garaus machte. Nun schreibe ich Eurer Lordschaft, um Euch zu bitten, einem der Unseren Euren Schutz angedeihen zu lassen, einem Knaben, der hier auf den Namen John Sandall getauft worden ist.
    Das Feuer flackerte. Der Brief war mit hastiger Hand verfasst worden, und es war geraume Zeit her, dass Ben Martin so viele Wörter nacheinander gelesen hatte. Josh hörte ihm aufmerksam zu und nickte hin und wieder, doch der Junge starrte nur in die Flammen. Als ginge es in dem Brief um Leute, die ihm unbekannt waren, oder um ein fernes Land, das er vor langen Jahren verlassen hatte.
    Sire, ich bitte Eure Lordschaft, diesen Knaben aufzunehmen. Niemand würde sich hier um ihn kümmern, und die Leute hier scheuen ihn, weil sie nicht an ihre eigenen vergangenen Taten erinnert werden wollen. Denn eine böse Macht hat im vergangenen Sommer hier zwischen uns in Buckland ihr Unwesen getrieben. Viele junge Seelen mussten ihr Leben lassen und große Qualen erleiden, bevor der Herr sie zu sich nahm. Auch die Älteren hat das Böse heimgesucht, indem es sie zu entzweien wusste, und ebenso ihren Priester, der sich zweier großer Sünden der Unterlassung schuldig machte. Denn er war blind für das Grünen des Grases der Gottlosen, und er sah nicht die Schlange, die in ihrer Verstellung durch den Garten glitt und alles mit ihrem Gift verdarb. Nun wollen die Menschen nicht das Gesicht dieses Knaben erblicken, denn seine Züge sind ihnen ständiger Vorwurf für ihre Lasterhaftigkeit. Deshalb überantworte ich ihn der Fürsorge Eurer Lordschaft ...

    Bens Stimme klang in seinen eigenen Ohren unvertraut in der dunklen Scheune. Die Tiere regten sich und schnaubten.
    Josh nickt versonnen bei Pater Holes Bericht, als hätte das Verstoßen des Jungen einen langgehegten Verdacht bestätigt. Der Junge hielt die Arme um die Knie geschlungen und blickte mit ausdrucksloser Miene ins Feuer. Doch als Ben es sich auf seiner Decke bequem machte, dachte er an Pater Holes Worte, grübelte, was die »Schlange« und das »Grünen des Grases der Gottlosen« bedeuten mochten, und lauschte auf das Tropfen des Regens durch das undichte Strohdach, bis er schließlich einschlief.
    Das Schlagen der Tür weckte ihn. Josh war schon auf den Beinen. Draußen schien die Sonne, das nasse Gras dampfte. Die Packpferde ließen den Lehmboden hinter sich und traten vorsichtig auf das vollgesogene Grasland. Das hinkende Maultier folgte zuletzt. Der Junge kam auf unsicheren Beinen aus der Scheune, den feuchten Überrock über den Schultern. Als Ben sein schweres Bündel hinter sich herschleifte, blickte Josh zu ihm.
    »Du kannst dein Zeug auf die Pferde laden«, sagte er schroff. »Etwas hier. Etwas da. Tut keinem weh.«
    Ein überraschter Ben nahm sein Bettzeug aus seinem Bündel.
    »Und vielleicht kannst du mir helfen«, sagte Josh.
    Geschäfte zwischen Packpferdtreibern, dachte Ben. »Und wie?«, fragte er.
    »Siehst du ihn?« Josh deutete hin. »Macht einfach nicht den Mund auf.«
    Der Junge stand neben dem Maultier und kratzte seine Kopfhaut ausgiebig mit den Fingernägeln. Er war von Läusen förmlich übersät, das war Josh schon am Vorabend aufgefallen. Pater Holes Brief war gut und schön, doch die Ankunft des Jungen würde wohl kaum Freudenglocken in der Kapelle des Gutshauses zum Klingen bringen. Oder Master Pouncey freudig in die Hände klatschen lassen. Ein überflüssiger Esser war schlimm genug. Ein verlauster überflüssiger Esser war schlimmer. Aber ein verlauster, überflüssiger und stummer Esser ...

    »Bring ihn zum Reden«, sagte Josh. »Mach ihn gesprächig, verstanden?«
    Ben dehnte die Schultern und spürte die Schwielen von den Gurten

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