Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:
spähten sie aus dem Fenster.
    »Der Schnee schmilzt«, sagte Lucretia und legte ihr Kinn auf seine Schulter.
    »Der Winter ist zu Ende«, sagte John.
    Die Viehweiden tauten auf. Grüne Flächen wuchsen aus dem Matsch. Bald hielt sich der Schnee nur noch in den tiefsten Senken, und zuletzt schwand sogar die hohe Schneewehe unterhalb des Torhauses. Zu Mariä Verkündigung waren die Straßen wieder befahrbar. Da kam Marpot.

Aus Das Buch des John Saturnall: Ein Brot , wie es die ersten Männer und Frauen und ihre Nachkommen einst gegessen.
    as für Brotlaibe im Paradies gebacken wurden, wird nur ein Meisterbäcker ermessen können, denn nur ein solcher vermöchte all die Getreide aufzuzählen, so auf jenen alten Feldern wuchsen und ihre Grannen hergaben, ohne dass es des Schweißes von Menschen oder Pferden bedurft hätte. Da wurde aus zartem, fedrigen Weizen ein luftiges Weißbrot gebacken, und der grobere Roggen schaffte Schwarzbrot. Aus Spelz und getrockneten Bohnenkernen buk man das Pferdebrot, das Adam und Eva zwischen den Zähnen knirschte und in ihren Eingeweiden grimmte. Auch aus Eicheln und Bucheckern wurden geringere Mehle gewonnen, doch wie man diese mag gedroschen haben ohne schwere Ruten oder Dreschflegel, gemahlen ohne Mühlsteine oder Handmühlen und gesiebt ohne Siebe oder Beuteltücher, das weiß ich so wenig, wie ich weiß, wie man einen solchen Teig ohne Sauerteig zum Aufgehen gebracht, ihn ohne einen Trog geknetet und ohne einen Backofen gebacken haben mag. Denn in jenem ersten Garten hat sich Adam gewiss nicht damit abgemüht, Holzscheite zu sammeln.
    So wurde also einstmals das Brot ohne Mühen bereitet und seitdem nie wieder, bis die Bewohner eines kälteren
Eden Nüsse als Speise aufklaubten und des Sauerteigs entrieten (denn sie hatten keinen) und so wenig Feuerholz für ihre Öfen sammelten wie einst Adam. Ihr Paradies war ein kärglicher Garten, gemessen an dem wahren Eden, und seine Brotlaibe waren von anderer Art als jene, grobkörniger, weniger wohlschmeckend, weder so luftig wie Weißbrot noch so nahrhaft wie Schwarzbrot und für Mensch und Tier gleichermaßen mühselig zu verzehren. Diese Brotlaibe nannten sie Paradiesbrot, und man bereitet sie, wie ich nun darlegen werde ...

    DIE KALTEN BLAUEN AUGEN des Mannes starrten unter seiner massigen Stirn hervor; sein Blick taxierte die Mauern und suchte die Fenster ab. Er saß auf einem dunklen Pferd. Neben dem Pferd stand Ephraim Clough, und vor ihnen hielt die Schar seiner Milizionäre ihre Musketen oder ließ ihre schmutzigen Hände auf ihren Schwertknäufen ruhen. Im Innenhof eingepfercht und von den grimmig dreinblickenden Männern umringt, sahen die Mitglieder des Haushalts, wie der Reiter sich im Sattel aufrichtete und seinen Helm abnahm, worauf eine lange Mähne glatten blonden Haars sichtbar wurde.
    Marpots Haare waren so lang wie eh und je. John hatte alles kommen sehen beim ersten Schlag an den Kupferkessel, als die Kelle ihn zum Schwingen brachte. Männer und Jungen waren hin und her gelaufen. Und dann waren die Milizionäre gewaltsam eingedrungen und hatten die Möchtegernverteidiger des Gutshauses mit Hieben und Schlägen in den Hof hinausgetrieben. Nun beäugte Marpot sie von seinem Pferd herab.
    »Wer von euch wagt, die Hand gegen meinen Pastor zu erheben?«
    John, mit den anderen zusammengepfercht, spürte, wie sie sich unruhig bewegten. Doch alle schwiegen. Ein finsteres Lächeln trat auf Marpots Miene. Er drehte sich um und gab seiner Gefolgschaft ein Zeichen.
    Die Reihen seiner Milizionäre teilten sich. Durch die Lücke mühte sich ein Grüppchen Frauen in abgerissenen Kleidern und schlichten Baumwollhauben mit einem zweirädrigen Karren. Als sie innehielten, sprangen zwei Männer auf den Karren. Im nächsten Augenblick rollte ein großer Holzklotz hinunter und fiel auf den Boden. Seine Oberfläche
war voller brauner Flecken. Eine Handfessel war auf den Klotz genagelt.
    Beim Anblick des Richtblocks ging leises Gemurmel durch den Haushalt.
    »Es gefällt ihnen nicht, Bruder Ephraim«, sagte Marpot laut. »Sie sind nicht bußfertig.«
    Doch Johns Blick ging von dem grausigen Gegenstand zu den Frauen, die dahinter standen. Einige hielten den Blick gesenkt. Andere sahen staunend zu dem Haus hinüber. Doch eine von ihnen sah starren Blicks geradeaus, als könnte sie durch die Steinmauern hindurch etwas sehen, was jenseits des Hauses lag.
    Cassies blaue Augen waren unverändert. Und ihre Sommersprossen. Für eine Sekunde

Weitere Kostenlose Bücher