Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:
oben auf dem Regal«, sagte John zu Simeon und deutete ins Halbdunkel. »Hol die Flaschen und Apothekergefäße herunter ...«
    Er blies den Staub weg, entkorkte die Flaschen und roch an ihrem Inhalt. Minuten später flößten sie Philip ein bitter schmeckendes Gebräu ein. Philip hustete und spuckte. Doch als die letzten Tropfen in seine Kehle rannen, ließ sein Sträuben nach, und er atmete ruhiger. Dann verdrehte er die Augen, und Gemma sank mit ihm zu Boden.
    »Nur in kleinen Portionen«, sagte John zu Gemma. »Er wird wirre Dinge reden. Seltsame Träume träumen.«
    Gemma hielt Philips Kopf zärtlich in den Armen. »Ich hatte gedacht, ich könnte nie einen anderen Menschen hassen«, sagte sie mit einer Bitterkeit, wie John sie noch nie erlebt hatte. »Aber jetzt kann ich es.«
    Ihre Miene gebot John Schweigen. Hinter Gemma sah er Adam den Blick heben.
    In der Tür stand Lucretia. Die Vorderseite ihres Kleides war blutgetränkt. Ihre Nase war von Marpots Schlag geschwollen; die dunkel verfärbte Schwellung reichte bis auf die Wangen. Sie kam herbei und streckte mit flehendem Gesichtsausdruck eine Hand aus.
    »John.«
    Er sah zu ihr auf. Doch dann blickte er auf Philips reglosen Körper. Abels spöttische Stimme klang in seinen Ohren. Du hast bekommen, was du wolltest ... Mit einem Mal konnte er nicht ertragen, von ihr berührt zu werden. Er stand auf und ging an ihr vorbei.
    »Geh weg«, sagte er. »Geh weg.«

     
    Sie begruben den Reiherjungen unter der großen Eiche. Alf sprach die Worte des Gottesdienstes, so gut er sie sich in Erinnerung rufen konnte. Danach wanderten sie zum Haus zurück. Die ranghöheren Bediensteten versammelten sich um den Tisch in der Vorbereitungsabteilung.
    »Sie haben alles mitgehen lassen«, berichtete Mister Fanshawe. »Haben Mottes Gärten verwüstet. Die Schafe und Pferde weggeführt. Sogar das Heu haben sie mitgenommen.«
    Ben Martin sah mit einer kaum verheilten Schramme an der Wange auch nicht munterer aus. »Quiller hat einen Mann auf die Straße nach Carrboro geschickt«, sagte er. »Kam nicht weiter als bis Callock Marwood. Da hat Marpot einen Trupp seiner Leute stationiert. Unser Mann musste um sein Leben rennen.«
    »Wenn Marpot will, dass wir verhungern, warum hat er uns dann nicht einfach aus dem Haus getrieben, damit ein für alle Mal Schluss ist?«, fragte Mister Bunce.
    Niemand wusste eine Antwort. Dann meldete sich Alf.
    »Das müsst Ihr Lady Lucy fragen«, sagte er. »Er hat sie in die Kapelle geschleppt. Den Turm hinauf bis ganz nach oben. Da hat er drauflosgehämmert, hat die Wände zerschlagen und dabei geflucht. Aber als er rauskam, war er anders als vorher. Bleich, als wäre ihm ein Geist erschienen. Er hat seine Leute zusammengerufen, und weg waren sie.«
    »Das war alles meine Schuld«, sagte John mit düsterem Blick. »Meine Hand für Philips Hand. Wenn ich Clough nicht angerührt hätte ...«
    »Das glaubt keiner von uns«, fiel ihm Alf ins Wort. »Und Philip schon gar nicht. Jeder von uns hätte Clough heimgeleuchtet. Vielleicht sogar noch unsanfter, habe ich recht?« Die anderen nickten zustimmend.
    »Ich hätte ihm mit meiner Schaufel den Hirnkasten einschlagen sollen«, sagte Pandar.
    Adam nickte. »Jedenfalls haben sie diesmal alles mitgenommen, was sie in die Finger bekamen. Wenn sie gekonnt hätten, hätten sie die Bäume ausgerissen.«

    »Wenigstens die haben sie uns gelassen«, sagte Alf und stand auf. »Sieht ganz so aus, als würden wir unser Nachtessen im Wald zusammensuchen müssen.«
     
    Mit Säcken, Spaten und Hacken schwärmten sie in die Kastanienwälder aus und durchforsteten die Schneisen, in denen sie nach Zuckerwurzeln und Rüben, nach Rapunzeln und Wildgerste gruben. Adam, Jed und Alf stellten Trupps zusammen, die am anderen Flussufer auf den verlassenen Feldern des Bauerngehöfts entlang der alten Furchen den schweren Pflug durch den Lehm zogen. Am Abend stapften sie in schmutzverkrusteten Stiefeln nach Hause. In der Küche kochten Hesekey und Simeon Suppe aus Wurzelgemüse, mit Gerste angedickt. Am Ende der Woche waren alle fußwund und zu Tode erschöpft. In der schmucklosen Kapelle leitete Alf den Gottesdienst. Um ihn herum sprachen die Männer und Frauen die Responsorien und sangen dann einen Psalm. Von hinten sah John zu Lucretia, deren Gesicht unter einer Haube verborgen war.
    Seine unbedachten Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn. Ihre Nächte in dem Schlafgemach waren nur noch eine ferne Erinnerung. Nachts spürte er ihr

Weitere Kostenlose Bücher