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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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dreinblickenden Hesekey und einem lachenden Simeon. Jed Scantlebury schien kurz vor dem Ersticken zu sein und stopfte sich dennoch immer weiter Brocken von Schweinebraten in den Mund, während Peter Pears ihm auf den Rücken schlug. Als John all die vertrauten Gesichter betrachtete, sprach Lucretia über eine einnickende Mistress Gardiner hinweg.
    »Erinnert Ihr Euch an das letzte Mal, als Ihr hier saßet, Master Saturnall?«

    »Ich war der Vorkoster des Königs«, sagte er.
    Mistress Gardiner fielen die Augen zu, und er beugte sich über sie hinweg zu Lucretia.
    »Ich wäre jetzt gern mit Euch allein.«
    Sie lächelte. »Und warum wärt Ihr das gern, Master Saturnall?«
    »Ich habe ein Gericht für Euch.«
    »Schon wieder Rüben? Noch mehr geschmolzenen Schnee?«
    »Ein Geheimnis«, flüsterte er zurück.
    Sie blickte über die schlafende Mistress Gardiner zu ihm. Unvermittelt sprang ein rotgesichtiger Jed Scantlebury auf.
    »Wer will noch behaupten, der alte Eisenfresser hätte Weihnachten abgeschafft?«, rief der junge Mann. Er hob sein Trinkgefäß. »Auf Weihnachten! Auf den König!«
    Alle im großen Saal hoben ihre Becher und Gläser.
    »Heute Nacht«, flüsterte John unter dem Lärm des Trinkspruchs. »Komm, sobald du kannst.«
     
    »Ist das dein Geheimnis?«
    Sie sah auf das flache Holzkistchen. Doch als sie den Deckel hob, trat ein ungläubiges Lächeln auf ihre Züge.
    »Schmuck?«
    »›Ein Gürtel aus Stroh und Efeuknosp’‹«, sagte John. »›Korallene Spangen und Bernsteinknopf.‹«
    »Die Verse ...«
    »›Nimmst du mit diesen Freuden vorlieb ... Dann lebe mit mir, mein Herz, mein Lieb.‹«
    Langes Schweigen entstand; Lucretia wischte sich erst ein Auge und dann das andere.
    »Wie hast du es gemacht?«, fragte sie schließlich.
    John entsann sich der leisen Gewissensbisse, als er das Stück Madeirazucker abgebrochen und aus der Speisekammer geschmuggelt hatte. In seinem Zimmer hatte er den Zucker zerstoßen, ihn dann geläutert und zu feinen Fäden gesponnen, die er miteinander verwob, bevor sie
erstarrten. Nun sah Lucretia auf den Gürtel aus goldenen Schlaufen, den Ring mit facettiertem Edelstein und die Spange aus feinstem Golddraht. Er zuckte die Achseln.
    »Es war keine verlorene Liebesmüh.«
    »Ich fürchte, es könnte für meinen Geschmack zu süß sein«, sagte Lucretia.
    »Sie sind nicht für deinen Mund bestimmt.«
    Sie sah ihn verwirrt an.
    »Für wessen Mund denn?«
    Minuten später durchbrach ein eigenartiges Duett die Stille im Raum.
    »›Komm, lebe mit mir‹«, sagte John. Knirsch.
    »Uui!«, rief Lucretia.
    »›Mein Herz, mein Lieb‹.« Knirsch.
    »John, hör auf ...«
    »› Und koste alle Freuden, die ...‹« Knirsch, knack, knirsch.
    Ihr Gequietsche werde noch den ganzen Haushalt wecken, schalt John sie, als er sich über sie beugte, um eine neue Zuckerschlaufe zu zerbeißen. Er hatte ihr den Gürtel um die nackte Taille gelegt. Und während er sich bückte, um weiterzuknabbern, wurde Lucretia von Lachlust überwältigt.
    »Hör auf!«, rief sie außer Atem. »Bitte hör auf, John!«
    »›Uns Täler, Haine und Hügel spenden‹« – knack, splitter  – »›Hochragende Berge und Wälder und Wiesen ...‹«
    Schließlich gelang es ihr, sich zu entziehen.
    »Nun trägst du ihn«, befahl sie.
    »Ich? Wo?«
    Sie trat auf ihn zu; der Gürtel baumelte von ihrer Hand.
    »Nein!«
    »Doch ...«
    Später, als Gürtel und Spangen und Bernsteinknöpfe zwischen ihren Zähnen verschwunden waren, als ihre klebrigen Lippen sich voneinander gelöst hatten und sie sich keuchend in die zerwühlten Laken sinken ließen, spürte John, wie Lucretias Hand sich in seine Hand stahl.
Gemeinsam blickten sie zur Zimmerdecke empor, an die der Feuerschein flackernde Schatten warf.
    »Das ist unser Garten«, sagte Lucretia. »Hier in diesem Gemach.«
    »Garten?«
    »Du hast gesagt, dass sie einander bedienten. Die ersten Männer und Frauen. Sie tauschten ihre Zuneigung und lebten in Freundschaft als Gleiche.« Sie wendete sich zu ihm um. »Das ist unser Garten, John. Das ist unser Festmahl.«
     
    Am Vorabend des Tages der heiligen Agnes fiel der letzte Schnee. Lucretia wog Sonnenblumenkerne auf ihrer Handfläche, betete für ihrer beider Zukunft und warf die Kerne über die Schulter. John hörte sie im Feuer knistern und zischen.
    »Zieh den Vorhang auf«, sagte Lucretia.
    John schob den schweren Stoff zur Seite, und Staubwolken lösten sich aus dem Samt. Licht strömte herein. Zusammen

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