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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Fehlen an seiner Seite wie einen kalten Windhauch, dem düsteren Himmel über ihm entsprungen. Doch im Hof war noch immer die Spur des Richtblocks zu sehen. Der Eichbaum erhob sich hoch über dem Grab des Reiherjungen. Der Anblick von Philips verbundenem Armstumpf raubte ihm jede Entschlusskraft. Er hatte Lucretia durch eigenes Verschulden verloren, dachte er. Er hatte es nicht besser verdient. Er blickte immer wieder verstohlen zu Philip hinüber, als sie beim Essen saßen, bis Philip zuletzt den Armstumpf aus der Schlinge hob.
    »Du kannst hinsehen, wenn du willst.«
    John errötete. »Nein, ich ...«
    »Marpot hat das getan, John«, sagte Philip. »Er wird dafür bezahlen. Nicht du.«
    Die Arbeit wurde beschwerlicher. John verließ das Bett vor Sonnenaufgang, um gegen den Kessel zu schlagen und den Haushalt zu
wecken. Im Wald mussten die Sammler sich immer tiefer vorwagen, um ihre Säcke zu füllen. Eine erbarmungslose Sonne versengte die Felder und verbrannte die Weizenähren. Zur Sommersonnenwende standen die Halme kaum kniehoch.
    Sie bildeten eine Kette aus Menschen, um Wasser in ledernen Eimern und hölzernen Kübeln aus dem Fluss zu schöpfen und in die gekrümmten Ackerfurchen zu gießen. Das Getreide begann wieder zu wachsen, doch im Spätsommer wiesen die Felder große kahle Stellen auf. Sie sensten, worfelten und droschen. Sie mahlten das Getreide mit Handmühlen. Sie sammelten Früchte und pflückten Beeren, fingen Kaninchen und rupften Tauben. Wenn er am Ende des Tages dankbar auf sein Lager fiel, musste John nur die Augen schließen, um sofort einzuschlafen.
    Aber dennoch wurden ihre Gesichter immer hagerer, und ihre Augen sanken immer tiefer in ihre Höhlen. Marpots Miliz hielt weiterhin die Straßen versperrt, und die Höfe blieben leer. Im Herbst erhielt man Kunde von der Verurteilung des Königs. John dachte an den Mann mit den traurigen Augen, der ihn zu sich beordert und aufgefordert hatte, neben ihm Platz zu nehmen. Zu Weihnachten versammelte sich der Haushalt abermals im großen Saal und aß Kaninchenragout mit dicken Scheiben groben Schwarzbrots. Als Mistress Gardiner einschlief und leise zu schnarchen begann, blickte John den Tisch entlang zu Lucretia.
    Sie hatten das ganze Jahr über fast kein Wort gewechselt. Ihre Nase war mit einem leichten Höcker verheilt. Das machte ihr Gesicht weicher, fand er. Doch bei seinem Anblick wendete sie sich ab.
    Der Winter wurde kälter. Die Kälte schien alle Kraft aus ihren Gliedern zu saugen. Jeden Morgen fiel es den Mitgliedern des Haushalts schwerer, sich aufzuraffen. Als zwei von Quillers Männern krank wurden, nahmen Meg und Ginny ihren Platz ein. Die fahlgesichtige Truppe stapfte im Morgengrauen hinaus und nach Einbruch der Abenddämmerung zurück, mit gesenkten Köpfen, schweren Füßen und Mägen, die vor Hunger laut knurrten. Doch dann musste Brennholz geholt und gehackt werden, Wasser geschöpft, und neue Ackerfurchen mussten gezogen werden.

    »Die Hälfte des Kohls ist vom Rost befallen«, sagte Philip am Martinstag zu John. »Um den Grünkohl steht es noch schlimmer. Über die Rüben wissen wir erst Bescheid, wenn wir sie ausgraben.« Inzwischen trug er den Arm nicht mehr in der Schlinge. »Einige der Männer reden wieder davon, dass sie gehen wollen. Wir haben kein Mehl. Und ohne Brot ...«
    John spürte die tiefe Erschöpfung der anderen. Ihre Kleidung war zerlumpt, ihre Schultern sackten. Jeden Morgen sah er sich denselben niedergeschlagenen Mienen gegenüber. Der Neujahrstag kam und verging. Eine Woche darauf kam es zu einem Streit zwischen Jed Scantlebury und Jim Gingell. Im Handumdrehen wälzten sie sich im Schnee unter den Kastanienbäumen und verpassten einander unbeholfene Schläge. Die anderen versammelten sich im Kreis, feuerten sie an und schrien. Adam und Peter Pears trennten die Kampfhähne.
    »Geh doch, wenn du das willst!«, rief Jed. »Marpot wird dir ein herzliches Willkommen bereiten!«
    »Besser als verhungern«, gab Jim zurück.
    »Niemand wird verhungern«, sagte John.
    »Niemand?«, sagte Barney Curle. »Alle Vorräte sind aufgebraucht. Und im Wald ist auch nicht mehr viel zu holen.«
    »Was sollen wir essen?«, fragte Peter Pears.
    Ihre verhärmten roten Gesichter wendeten sich zu John. Einige stampften, um ihre Füße zu wärmen. John spürte, wie ihre Erschöpfung auch von ihm Besitz ergriff.
    »Er weiß es nicht«, sagte Jim Gingell. Murren wurde laut. Einige wendeten sich ab, um zu gehen.
    »Wartet«, sagte

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