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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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John.
    Sie beobachteten ihn, neugierig die einen, ratlos die anderen, während er seine Gedanken zu ordnen versuchte.
    »Einst war hier ein Garten«, sagte John schließlich. »Alles, was grünt, wuchs hier.«
    Der Schnee schien seine Worte zu verschlucken. Die kahlen Bäume standen schwarz und schweigend.

    »Das war im Paradies«, sagte Tam Yallop. »Das hier ist nicht das Paradies.«
    »Es war es früher einmal«, sagte John.
    »Er macht sich über uns lustig«, sagte Jim Gingell. Er wendete sich an die anderen ringsum. »Habe ich nicht recht?«
    »Und wo ist es jetzt?«, fragte jemand anders.
    »Der Garten wurde zerstört«, sagte John. »Den Männern und Frauen ist nichts geblieben. Wie uns. Und doch haben sie überlebt.«
    »Und wie?«, fragte Jims Bruder Jem. »Was gab’s zu essen? Baumrinde?«
    John scharrte mit den Füßen etwas Schnee weg; dann bückte er sich und tastete im Erdreich. Er hielt eine dunkelbraune Nuss hoch. »Sie haben Brot gebacken«, sagte er. »Sie haben Kastanien gemahlen und aus dem Mehl Brote gebacken.«
    Er stand zusammen mit Philip vor den anderen. Doch unter den Männern, die in der Kälte zitterten, machte sich aufbegehrendes Gemurmel breit.
    »Ist das Euer Paradies?«, fragte einer von Quillers Männern.
    »Das ist Futter für Schweine«, erklärte ein anderer.
    »Und was werdet Ihr und Lady Lucy essen? Oben an Eurem hohen Tisch?«, fragte Jim Gingell herausfordernd.
    Johns Miene verhärtete sich. »Das Gleiche wie ihr.«
    Aber die Männer schüttelten nur ungläubig den Kopf. Eine große Müdigkeit überkam John. Er zermarterte sich das Gehirn nach dem richtigen Wort, aber es wollte sich nicht einstellen. Vielleicht hatten sie recht, dachte er zweifelnd. Es gab keinen Garten. Es gab kein Fest. Sie waren vor langer Zeit untergegangen. Dann erklang die Stimme einer Frau.
    »In Eden gab es keinen hohen Tisch.«
    Eine Gestalt mit einer Kapuze auf dem Kopf und in einem Kleid aus grobem Wollstoff, die einen Sack in der Hand hielt, drängte sich durch die Männer und blieb vor ihnen stehen. Sie schob die Kapuze zurück.

    »Die ersten Männer und Frauen saßen als Gleiche beim Mahl«, verkündete Lucretia. »So werden auch wir es halten. Sie waren gleich in ihrem Reichtum. Und wir sind es in unserer Armut.«
    Sie stand vor ihnen, die Hände in die Hüften gestemmt. John sah, wie sich die Mienen der Männer aufhellten und Neugier zeigten.
    »Wir werden dieses Paradiesbrot backen«, befahl sie. »Wie Master Saturnall sagt.«
    »Und es auch essen?«, fragte eine mürrische Stimme.
    »Das werden wir, Master Gingell«, sagte Lucretia, die ihn ganz hinten erspähte. »Wir alle. Wir werden es backen. Und wir werden es essen.«
    Mit diesen Worten bückte sie sich, grub mit den Händen im Schnee, förderte eine Kastanie zutage und ließ sie in ihren Sack fallen. Und dann die nächste. Der Haushalt sah in ungläubigem Schweigen zu, wie Lady Lucretia arbeitete. Dann riss John sich aus seiner Gedankenverlorenheit und bückte sich, um es ihr gleichzutun. Im nächsten Augenblick schloss sich ihnen Philip an. Dann Alf.
    »Hätte mir nicht träumen lassen, dass das Paradies so aussieht«, sagte er und bückte sich, um Nüsse aufzusammeln. Adam folgte ihm. Kopfschüttelnd und achselzuckend näherten sich die anderen und traten die Schneedecke weg, um die Ernte des Waldes aufzudecken.
    John schlurfte voran und grub mit den Händen im Schnee. Doch aus dem Augenwinkel beobachtete er Lucretia. Schon bald rötete die Kälte ihre weißen Hände. Farbe malte sich auf ihren Wangen. Schließlich warf sie einen Blick zu ihm herüber.
    »Bereitet es Euch Vergnügen, Sir Williams Tochter niedrige Arbeit verrichten zu sehen?«
    »Vergebt mir, Euer Ladyschaft«, antwortete John.
    »Ich bin nicht Euer Hauskaplan, Master Saturnall«, erwiderte sie schnippisch. »Ich kann Euch keine Absolution erteilen.«
    »Aber ich muss sie erlangen.«
    »Ein seltsames Begehren für jemanden, der die Person, die sie ihm erteilen soll, so auffällig gemieden hat.« Lucretia scharrte eine Kastanie
von dem schmutzigen Boden, wischte sie an ihrem Rock ab und steckte sie in den Sack.
    »Er hat sich seines Verstands begeben«, sagte John und fuhr mit dem Stiefel durch den Schnee. »Er hat die Person gemieden, die ihm unter allen Menschen am teuersten ist.«
    »Das hat er getan?«
    John war zumute, als wagte er sich auf das Eis eines der zugefrorenen Teiche des Reiherjungen hinaus. Ein falscher Schritt, und er würde einbrechen. »Er hatte

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