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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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einen Blick, bevor sie dem Leiter der Vorbereitungsbrigade durch die Küche folgten. Seit der Flucht an seinem ersten Tag hatte John sich nie tiefer in die Küchenräume vorgewagt. Hinter den Türen, an denen er damals vorbeigelaufen war, kamen nun Pökelfässer und Vorratskammern, Räucherkammern und Keller zum Vorschein. Durch ein wahres Mehlgestöber in der Backstube erhaschte John einen Blick auf Männer, die bleiche Teigklumpen bearbeiteten und sich an den Knetbrettern abmühten. Die glosenden Mäuler der Brotöfen hoben sich von der Wand ab. Männer rollten Nudelhölzer und hantierten mit Sieben und Messern. Eine üppige Mischung von Gerüchen wehte von Master Roos’ Gewürzkammer her. An dieser letzten Station blickte John den Gang zu der verlassenen Küche entlang. Die Tür seiner Zuflucht war mit Brettern vernagelt. Mister Bunce schlug eine andere Richtung ein. Am Ende des Gangs gelangten sie zu einer Tür. Mister Bunce klopfte.
    »Wer ist da?«
    »Mister Bunce, Master Scovell. Ich bringe die Jungen, die Ihr sehen wolltet.«
    Es folgte eine Pause, in der John und Philip einander ansahen.
    »Schicken Sie Mister Elsterstreet herein.«
    Mister Bunce winkte Philip herbei. John wartete mit Mister Bunce in dem düsteren Gang. Nach kurzer Zeit wurde die Tür wieder geöffnet. Philip kam heraus und bedachte John mit einem kurzen Blick. Dann war Scovells Stimme wieder zu hören.
    »Herein, Mister Saturnall.«
    Ein langes Zimmer mit gewölbter Decke erstreckte sich bis zu einem Herd, in dem ein schwaches Feuer brannte. Zu beiden Seiten des Herds waren Töpfe und Pfannen an Haken aufgehängt. In den Gemächern des Meisterkochs roch es nach Gewürzen und nach Holzkohle. Vom Ende eines Arbeitstischs voller Schüsselchen, Teller und Schalen hingen ein Haarsieb, einige lange Löffel und ein Rührholz. Daneben stand eine Wärmepfanne, noch mit Asche gefüllt. Hohe Regale zogen sich eine Wand entlang, gefüllt mit Flaschen, verkorkten Apothekergefäßen
und Papieren. Die Rollen, Stapel, Bündel und mit Töpfen beschwerten Haufen von Papier drohten auf die Bücher hinabzurutschen, die in der Reihe darunter standen. Aus einer Reihe kleiner Fenster an der gegenüberliegenden Wand sah man in einen Hof. Über einem offenen Buch flackerte eine Kerze. Richard Scovell, der über den Tisch gebeugt stand, sah auf.
    »Komm her.«
    John tat wie geheißen.
    »Ich war neugierig, ob du verzagen würdest, als du Töpfe im Spülstein auskratzen musstest. Mister Stone sagt nein. Ich war neugierig, ob du vor der Hitze am Herd zurückscheuen würdest. Offenbar nicht. Aber du hast eine Gabe, die über solche Fähigkeiten hinausreicht. Du bist nicht wie die anderen, habe ich recht, John Saturnall?«
    Scovell sah ihn eindringlich an, sein Gesicht halb im Schatten verborgen. John erwiderte den Blick. »Sie arbeiten genauso schwer wie ich«, antwortete er. »Und genauso gut.«
    Scovell lächelte. »Sicherlich. Aber ihnen eignet nicht, was dir eignet. Sag mir, wie du es nennst. Einen Kobold?«
    John starrte ihn verblüfft an. »Verzeiht, Master Scovell ...«
    »Einen Geist? Einen Vorkoster? Das Wesen, das hinten an deinem Gaumen lebt. Das dir den Weg durch die Brühe in meinem Kupferkessel gewiesen und ihre Bestandteile aufgezählt hat. Dein Führer. Wie nennst du ihn?«
    »Meinen Dämon, Master Scovell.«
    Scovell nickte beifällig. »Ein Koch braucht seinen Hausgeist.« Er blickte zu den Regalen voller Papier und Bücher. »Die Früchte der Erde sind nicht zu zählen. Kein Koch könnte sie ohne Hilfe meistern.« Er wandte sich wieder an John. »Nicht einmal Susan Sandalls Sohn.«
    Johns Herz schlug schneller. Auf diesen Augenblick hatte er gewartet, wie ihm klar wurde. Während der eintönigen Plackerei in der Spülküche war dieser Augenblick eine diffuse Erwartung gewesen. Seit der Meisterkoch von Pater Holes zerknittertem Brief aufgesehen hatte.
    »Ihr kanntet meine Mutter, Master Scovell?«

    »Wie hätte ich sie nicht kennen sollen, wenn sie keine zehn Schritt von hier entfernt gearbeitet hat?«
    »War meine Mutter eine Köchin?«
    Scovell schüttelte den Kopf.
    »Hätte es sie danach gelüstet, hätte sie dieses Amt sicherlich bekleiden können. Aber so war es nicht.« Scovell sah zu der Wand im Schatten hinüber, die sein Gemach von der verlassenen Küche trennte. Eine dunkle Nische umrahmte eine niedrige Tür.
    »Sie wirkte hier unten im Verborgenen. Nur wenige wussten von ihrer Anwesenheit. Und nur wenige dieser wenigen erfuhren ihren

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