Das Festmahl des John Saturnall
Namen. Zweifellos versetzten ihre Künste manche fromme Seelen über uns in Furcht und Schrecken. Aber Sir William konnte Lady Anne keinen Wunsch abschlagen.«
»Lady Anne?« John sah Scovell erklärungheischend an.
»Gewiss. Wer sonst hätte deine Mutter herbringen sollen? Ihre Ladyschaft hatte noch nie ein Kind ausgetragen. Als sie schwanger wurde, ließ Sir William deine Mutter holen. Deine Mutter hat Lady Anne vor der Niederkunft gepflegt. Alles war gut bis zur Geburt. Da verließ Lady Anne die Lebenskraft. Deine Mutter hat alle Künste angewendet, die sie kannte. Aber es hat nichts genützt. Lady Anne ist gestorben. Nur das Kind konnte gerettet werden.«
Es dauerte eine Weile, bis John begriff.
»Lady Lucretia?«, rief er. »Meine Mutter hat sie entbunden?«
»So ist es. Doch angesichts des Todes von Lady Anne war das Leben des Kindes für Sir William ohne Bedeutung. Sein Schmerz kannte keine Grenzen. Seine Kammerdiener wurden in jener Nacht fortgejagt und alle, die Lady Anne aufgewartet hatten. Selbst deine Mutter ...«
Ein beunruhigter Ausdruck trat auf Scovells Miene. Er blickte zu einem hohen Regalbrett, auf dem John halb im Schatten verborgen eine Reihe von Apothekergefäßen ausmachte.
»Ich rettete aus ihrer Küche, soviel ich konnte – ihren kostbarsten Absud. Dann vernagelte Sir William die Tore. Das Gutshaus wurde geschlossen.«
Sie war also vertrieben worden, dachte John. Aber warum hatte seine Mutter sich geweigert zurückzukehren? Warum war sie so unerbittlich gewesen?
»Sie verschwand in das Tal«, fuhr der Meisterkoch fort. »Sie hat nie das Dorf erwähnt, aus dem sie stammte. Eine Zeitlang dachte ich, sie würde zurückkommen. Aber sie kam nicht.« Er sah auf. »Stattdessen kamst du.«
»Sie hat mich hergeschickt«, sagte John.
»Du hast eine große Gabe«, sagte Scovell. »Deine Mutter war zu klug, das nicht zu erkennen. Aber dein Talent ist ungeschliffen. Du musst lernen, deine Gabe auf ihr Ziel gerichtet zu nutzen.«
»Was für ein Ziel, Master Scovell?«
»In einer Küche braucht es viele Talente«, sagte der Meisterkoch. »Manche Aufgaben sind recht gewöhnlich. Mister Elsterstreet und seinesgleichen sind dazu befähigt. Andere sind so erlesen, wie sie selten sind. Ein wahrer Koch muss beides beherrschen.«
Er sah John unbeirrt an, mit prüfendem Blick wie zuvor. John wusste plötzlich, dass es noch mehr zu erfahren gab. Mehr, als Scovell ihm gesagt hatte. Oder mehr, als er fragen konnte. Doch statt weiterer Enthüllungen nahm der Meisterkoch ein Messer von dem Tisch voller Gegenstände. Die Klinge war ein schmaler stählerner Halbmond, der Holzgriff war vom vielen Handhaben blankpoliert.
»Lass dich von der Küche leiten«, sagte Scovell. Er drückte John den Messergriff in die Hand. »Du wirst in der Vorbereitungsbrigade arbeiten.«
»Stimmt es, dass er in einem Gefäß eine Frauenhand aufbewahrt?«, fragte Wendell Turpin am Abend.
»Ich hab gehört, es wären Schlangen«, meldete sich Phineas Campin vom anderen Ende der dunklen Küche.
»Schlangen hab ich keine gesehen«, antwortete John wahrheitsgemäß.
»Und Eidechsen?«
»Auch keine.«
Die Fragen verstummten allmählich. John ließ sich auf seinem Strohsack zurücksinken; er wartete ab, hörte, wie das Stroh raschelte, auf dem Philip sich unruhig bewegte. Als schließlich alle anderen Jungen schliefen, berichtete er den Inhalt des Vorgefallenen im Flüsterton.
»Deine Mutter hat unsere Lucy entbunden?«, murmelte Philip ungläubig.
»Psst«, flüsterte John. »Sonst hören sie uns.«
»Und sie hat im Zimmer neben Scovell gearbeitet«, sagte Philip nachdenklich. »Meinst du, er und deine Ma ...?«
»Nein«, sagte John. Der Gedanke war ihm auch gekommen, aber etwas an der Art des Meisterkochs sagte ihm, dass es sich so nicht verhalten hatte. »Er hat gesagt, Sir William hätte sie holen lassen. Aber woher sollte Sir William meine Ma gekannt haben?«
Philip überlegte. »Vielleicht durch Pouncey. Es gibt nicht viel im Tal, worüber er nicht Bescheid weiß. Und?«
»Er hat gesagt, ich hätte ein Ziel.«
»Was für ein Ziel?«
»Das weiß ich nicht«, sagte John. »Er hat gesagt, die Küche würde mich leiten.« Er entsann sich Scovells schroffer Worte über die anderen Jungen. »Würde uns beide leiten«, verbesserte er sich schnell.
»Uns beide?« Philips Stimme klang hoffnungsfroh.
»Hatte ich dir doch versprochen, oder?«, erwiderte John. »Morgen fangen wir an. In der
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