Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Partner und einem Enkelkind zu rechnen war.
Katja hatte Enzo nicht angerufen. Sie hatte seine Nummer schon auf dem Display gehabt, aber sie hatte nicht auf das grüne Telefonhörersymbol gedrückt. Enzo hätte nur zu ihr gesagt, er sei selbstverständlich für sie da und sie solle so schnell wie möglich nach Hamburg zurückkommen. Er konnte so verdammt einfühlsam und überzeugend sein, dass Katja sich nicht sicher gewesen war, ob sie nicht genau das getan hätte. Nach Hamburg zurückfahren. Erst einmal alles vergessen. Onkel Frieder, Güstrin, die Reportage, alles.
Zum ersten Mal fiel Katja auf, wie still es bis auf ihren und Bernds Atem war. Die schweren Vorhänge vor der Fensterfront zur Terrasse waren zugezogen, und von draußen drang kein Laut herein. Hier waren die Nachtstunden noch Zeiten, in denen man sich einreden konnte, der letzte überlebende Mensch auf Erden nach einer verheerenden Seuche zu sein. In ihrer kleinen Altbauwohnung in Hamburg-Ottensen war das anders. Selbst wenn auf der Straße unten nachts um drei tatsächlich mal niemand mehr unterwegs war, musste man nur die Ohren spitzen, und man hörte das ferne Summen und Brummen der großen Industrieanlagen im Hafen.
Katja fragte sich, wie still die Nacht zuvor gewesen war. Die Nacht, in der ihr Onkel einen so grausamen Tod gestorben war. Die Nacht, in der man ihn ermordet hatte. Nein, sie konnte jetzt nicht nach Hamburg zurück. Auf gar keinen Fall. Nicht nur deshalb, weil sie sich vorgenommen hatte, dieBeerdigung von Onkel Frieder zu organisieren, sobald sein Leichnam von der Polizei freigegeben worden war. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie ihm das irgendwie schuldig, nachdem sie ihn so lange Zeit vernachlässigt hatte. Darüber hinaus – und das war noch so eine erschreckende Erkenntnis – würde irgendwann der Tag anbrechen, an dem sie auch dafür würde sorgen müssen, dass ihre Mutter ein ordentliches Begräbnis bekam. Menschen starben.
So wie ihr Vater. Und das war vielleicht der wichtigste Grund, weshalb sie sich nur noch sehr bedingt an die Abmachung gebunden fühlte, die sie mit Bernd getroffen hatte. Sie hatte schon einmal einen geliebten Menschen durch einen Unfall verloren, der kein Unfall gewesen war. Gut, im Fall ihres Vaters war das lediglich eine Vermutung, weil sowohl ihre Mutter als auch Bernd stets beteuerten, Thomas Jakobs’ Tod wäre ein tragisches Unglück gewesen. Er war allein im Auto unterwegs gewesen, mitten in der Nacht, östlich von Hamburg, wo gewundene Landstraßen, weite Felder und kleine Dörfer kaum vermuten ließen, wie schnell man von dort aus eine dichtbevölkerte Metropole erreichte. Es gab keine Zeugen für das, was passiert war. Der Wagen war völlig ausgebrannt, doch laut dem Obduktionsbericht war es wahrscheinlich schon die Kollision mit dem Baum gewesen, die ihren Vater das Leben gekostet hatte. Schwere Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule. Selbst wenn er noch gelebt hätte, als sein Citroën in Brand geriet, wäre er definitiv nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. In dieser Region waren tödliche Verkehrsunfälle keine Seltenheit. So etwas kam eben vor. Überhöhte Geschwindigkeit. Ein Moment der Unachtsamkeit. Doch gerade weil ihre Mutter und Bernd das so sehr beteuerten, war in Katja irgendwann der Verdacht aufgekeimt, dass mehr hinter dieser Sache steckte. Und wegen eines Vorfalls zu Weihnachten, Jahre später, als ihre Mutter völlig ohne Vorwarnung ausgerastet war. Bernd war ins Arbeitszimmer gegangen, zum alten Schreibtisch ihresVaters, ein Glas Whisky in der Hand. Ohne dass er etwas bemerkt hatte, war Katja ihm nachgelaufen. Er hatte sich auf den Stuhl vor den Schreibtisch gesetzt und alle Schubladen aufgezogen, nur um sie sofort wieder zu schließen. Vier-, fünfmal. »Du Arschloch«, hatte er dabei gemurmelt. »Du verdammtes stures Arschloch.« Dann hatte plötzlich Katjas Mutter in der Tür gestanden. »Du hättest ihn retten können!«, hatte sie gebrüllt. »Du hättest ihn retten müssen!« Bernd war wortlos gegangen, und hinterher hatten die beiden so getan, als wäre nichts passiert. Auf Katjas Nachfrage hin hatten sie wie abgesprochen gesagt: »Das geht nur die Erwachsenen etwas an. Das verstehst du nicht.« Mit vierzehn hatte Katja sich schließlich in einen Bus gesetzt und war hinausgefahren in dieses öde Niemandsland, in dem ihr Vater gestorben war. Sie hatte den Baum gesucht, und sie hatte ihn gefunden. Er trug noch immer eine Narbe an seinem Stamm. Sie hatte sich unter den
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