Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Schrank schwebte als heller Schemen der kopflose Körper eines breitschultrigen Mannes. Der Verstand sagte ihr, dass es keine Geister gab, und sie erkannte den Spuk als das, was er in Wahrheit war. Ein Jackett. Bernds Jackett, das er vor dem Zubettgehen an die einen Spalt weit geöffnete Schranktür gehängt hatte.
Sie ließ ihren Kopf zurück ins Kissen sinken, das warm von der Hitze ihres eigenen Körpers war, und rollte sich schwerfällig auf die andere Seite. Neben ihr schlief Bernd, ein langgestreckter Hügel unter einer dicken Daunendecke. Ein leises Röcheln, das noch nicht ganz ein Schnarchen war, schwoll an, verebbte, schwoll an, verebbte … Sie wusste, dass sie nur den Arm hätte ausstrecken und sanft an seiner Schulter rütteln müssen. Dann würde er sich im Halbschlaf umdrehen und eine Weile ruhiger atmen – lange genug, dass sie vielleicht selbst zurück in den Schlaf würde finden können. Doch dazu hätte sie ihn berühren müssen, und sie wusste nicht, ob sie das ertragen hätte. Sie plante immerhin einen Verrat an dem Vertrauen, das er in sie setzte.
Die Standby-Leuchte des Fernsehers starrte ihr aus dem Zwielicht entgegen wie ein winziges rotes Auge. Sie tastete auf dem Nachttisch nach der Fernbedienung, schaltete den Apparat an, drehte den Ton ganz herunter, noch ehe ein Bild entstanden war, und zappte schnell durch die Kanäle. Sie suchte nach einem Nachrichtensender, fand allerdings nur einen, auf dem eine Doku über den Untergang des Römischen Reiches lief. Unter den nachgestellten Aufnahmen, in denen unzivilisierte Barbaren hoffnungslos unterlegene Legionäre massakrierten, zogen Meldungen aus aller Welt vorbei. Ein Unwetter in Bangladesch. Gescheiterte Verhandlungen auf einem EU-Krisengipfel. Das Ergebnis eines Nachholspiels der Fußball-Bundesliga. Neue Erkenntnisse über die Hintergründe eines blutigen Familiendramas im Ruhrgebiet. Sie wartete auf die Nachricht von einem Brand in Güstrin. Sie kannte die nüchternen Regeln der Berichterstattung allzu gut. Ein einzelner Toter schaffte es nur selten in die überregionalen Schlagzeilen. Der Tod ihres Onkels war kein Ereignis, das die nötige Aufmerksamkeitsschwelle erreichte. Vielleicht, wenn er sich in die Luft gesprengt hätte oder ein Prominenter – am besten ein gescheiterter Star – gewesen wäre. Doch dem war nicht so, und deshalb wussteKatja, dass sie vergebens wartete. Trotzdem versetzte es ihr einen empfindlichen Stich. Es war nicht fair.
Bernd murmelte im Schlaf. Sie schaltete den Fernseher aus.
Es war einfach nicht fair. Sie war in einem Alter, in dem es immer häufiger vorkam, dass Bekannte und Verwandte der Elterngeneration starben. Dass bei Familientreffen die Zahl der Babys und Kleinkinder wuchs, während die Tische, die für die älteren Semester reserviert waren, leerer wurden. Das war der Lauf der Dinge. Menschen starben. Aber doch nicht so. Festgeschnallt auf einem Bett, während irgendein Irrer Feuer im Haus legte.
Einmal mehr hoffte Katja, dass Frieder am Rauch erstickt war, ehe die Flammen ihn erreicht hatten, und einmal mehr ballte sie die Fäuste, als sie begriff, wie pervers diese Überlegung war. So unfassbar und grotesk, dass sie vorhin beim Telefonat mit ihrer Mutter zu einer Halbwahrheit gegriffen hatte. »Es gab einen Brand, und Onkel Frieder ist tot.« Mehr nicht. Was hätte es auch für einen Sinn gehabt, die Gedanken ihrer Mutter in die gleiche Richtung zu drängen, die ihre eigenen schrecklicherweise eingeschlagen hatten?
»Frieder ist tot«, hatte ihre Mutter wiederholt, als müsste sie es selbst aussprechen, um es zu glauben.
»Ich kümmere mich um die Beerdigung.«
»Okay.« Ein leises Zittern in der Stimme. »Soll ich kommen?«
»Nein, brauchst du nicht. Fürs Erste, meine ich. Bernd ist ja da.«
Ein heruntergeschlucktes Schluchzen. »Weißt du, was komisch ist?«
»Was?«
»Dass sie alle beide verbrannt sind.«
»Ich weiß.«
»Erst dein Vater. Und jetzt Frieder.«
»Ich weiß.«
»Womit haben sie das verdient?«
Das wusste Katja nicht.
Alles in allem war es ein gutes Gespräch gewesen. Aber es war schon merkwürdig: Warum brauchte es etwas so Furchtbares, dass sie und ihre Mutter eine halbwegs normale Unterhaltung führen konnten, die nicht in einem nutzlosen Streit über irgendwelche Nichtigkeiten endete? Zum Beispiel, wann sie endlich einsehen würde, dass das Schreiben eine brotlose Kunst war. Oder warum sie sich nicht ein bisschen eleganter kleidete. Wann mit einem festen
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