Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
seiner Hand und drückte sie. »Du weißt, was ich meine. Wie gut kennst du ihn denn?«
»So gut, wie man den älteren Bruder seines besten Freundes eben kennt.« Bernd sah aus dem Fenster. »Ohne dir oder ihm zu nahe treten zu wollen, aber mir ist er am Anfangmeistens nur negativ aufgefallen. Er hat deinem Vater immer gesagt, er möge doch bitte was Ordentliches studieren. Maschinenbau oder so. Genau wie er. Das mit dem Schreiben, das sei doch nur eine fixe Idee, und davon könne doch kein Schwein leben.« Er drehte den Kopf zu ihr, jenes erzwungene Lächeln im Gesicht, das er immer zeigte, wenn ihm etwas unangenehm war. »Weißt du, dass er sein Seemannsdasein an den Nagel hängen wollte, als dein Vater gestorben ist?«
»Nein.«
»Doch.« Er zündete sich das nächste Zigarillo an. »Er meinte, du bräuchtest jemanden, der für dich da ist.«
»Ich habe eine Mutter«, merkte Katja verblüfft an. »Und du warst doch auch da.«
»Haargenau. Das haben wir ihm auch gesagt.« Das Grinsen, das er nun aufsetzte, war echt. »Ich bezweifle ernsthaft, dass er auf mich gehört hätte. Deine Mutter …« Er wackelte mit dem Kopf. »Wie du weißt, schätze ich deine werte Frau Mutter über alle Maßen, aber wehe, wenn sie losgelassen …« Er lachte. »So schnell habe ich noch niemanden klein beigeben sehen wie deinen Onkel damals. Aber jetzt mal raus mit der Sprache. Womit hat er dich geködert?«
»Diese Reportage zu schreiben?« Katja atmete innerlich auf. Sie waren fast durch die Baustelle, und es lohnte sich schon, den Blinker für die Ausfahrt zu setzen. »Na ja, wir haben uns getroffen, bei einem Portugiesen, und da sind wir ins Plaudern gekommen. Und dann hat er diesen Vergleich gemacht. Über Güstrin und die Abschaltung des Kraftwerks. Er meinte, es wäre wie auf einem Narrenschiff, das leckgeschlagen ist. Die eine Hälfte der Besatzung lacht und feiert, weil sie nicht versteht, was das für das Schiff bedeutet. Die andere macht Dienst nach Vorschrift und tut so, als hätte es den Eisberg nie gegeben. Spielt einfach weiter, wie das Orchester auf der ›Titanic‹.«
»Ich muss schon sagen«, knurrte Bernd. »An Frieder ist ja ein echter Poet verloren gegangen.«
Katja ignorierte den bissigen Kommentar und fuhr von der Autobahn ab. Eine Bundesstraße führte sie durch die Elbmarschen auf Güstrin zu. Die beiden Kühltürme des AKWs überragten alle anderen Gebäude der Kleinstadt bei Weitem, wie gigantische Mahnmale aus Beton zu Ehren eines namenlosen Gottes. Katja musste an die apokalyptischen Fernsehbilder aus Fukushima denken, die um die Welt gegangen waren. »Ist dir mal aufgefallen, wie bedrohlich so ein Kraftwerk aussieht?«
»Das ist nur Einbildung«, antwortete Bernd. »Weil du weißt, was passieren kann, wenn die Technik versagt. Nüchtern betrachtet finde ich sie ehrlich gesagt ziemlich imposant. Ich bin aber auch ein ausgesprochener Freund von Zweckbauten und Industrieromantik. Das kommt davon, wenn man in Harburg groß wird. Ist sozusagen ein Geburtsfehler.«
Katja konnte sich in Güstrin nicht verfahren, selbst wenn sie es gewollt hätte. Dazu war es zu überschaubar, und sie kannte den Weg zum Haus ihres Onkels noch von früheren Besuchen. Immer die Hauptstraße hinunter, bis nach der Kirche. Dann die zweite links, vor dem Penny. Danach wieder lange geradeaus und an der Litfaßsäule rechts. Sie hätte den Weg im Schlaf gefunden, und das hatte sie ihrem Vater zu verdanken. Als sie alt genug gewesen war, links und rechts mehr oder weniger zuverlässig auseinanderzuhalten, hatte sie bei den Fahrten nach Güstrin ansagen dürfen, wohin ihr Vater den Wagen steuerte. Er hatte ihre Anweisungen stets befolgt, und zwar auch dann, wenn er genau wusste, dass sie falsch waren. Mehr als einmal waren sie anfangs in einer Sackgasse oder an einem Parkplatz am Elbufer gelandet. Das hatte das ganze Spiel nur noch aufregender gemacht, und sie hatte ihrem Onkel nach der Ankunft jedes Mal voller Stolz von ihrer wichtigen Aufgabe berichtet. Kaum waren sie im Haus, hatte er ihr immer Mirinda in ihr Lieblingsglas – das mit dem Schneewittchen von Disney drauf – eingeschenkt.Limonade, die er extra für sie gekauft hatte, weil er ansonsten kein Fan von süßen Softdrinks war.
Sie bogen um die Ecke mit der Litfaßsäule, und Katja wurde grob aus ihren idyllischen Erinnerungen gerissen.
Das gelbe Haus ihres Onkels stand noch, aber die Fassade war rußgeschwärzt, der Dachstuhl eingestürzt. Die Fensterscheiben an
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