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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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Webermeilen entfernt und schwer verflucht. Flüchtlinge wurden gewöhnlich keuchend auf der roten Straße aufgefunden oder tot im Dornengestrüpp.
    Es gab zwar keine regelmäßigen Patrouillen, aber ich verlor fast das Spiel, als eine Gruppe von Wächtern aus der Talgfabrik kam. Sie waren in der Querstraße noch weit weg, aber beim Licht von
    Esder, das schwach durch die Wolken auf die blasse Erde von Itsik schien, hätten sie mich sofort gesehen. Ich mußte den schweren Karren unverzüglich in den Schatten schieben. Ich wartete so lange, wie ich zu warten wagte, dann überquerte ich die Straße und setzte meinen Weg über einen gefahrvollen Streifen scheckigen Schattens fort. Mein Glück kehrte einigermaßen zurück, als wir den Kai erreichten, denn die Wolken oben verdichteten sich und die Nacht war fast schwarz.
    Ich schob den verflixten Karren zwischen zwei alten Lagerschuppen zu dem Metallzaun, der um die Kais gespannt war. Ich wartete dort, bis ich die Muscheln auf dem nächstliegenden Mattroyan-Schiff die dritte Stunde verkünden hörte. Dann hob ich zwei Zaunpfähle heraus, bückte mich und zerrte an dem geflochtenen Draht, bis er nachgab. Ich rollte den Karren hastig darüber, der fürchterlich quietschte. Proviantbeutel fielen herunter, und ich sammelte sie wieder ein. Endlich erreichte ich den Kai und rannte zuletzt zu einem dichten Schatten, wo ich mich hinsetzte, die schlaffe Hand des Abgesandten abtastete und horchte.
    Der Kai war noch nicht einmal im Morgengrauen totenstill; der Lebensmittelschuppen und die Wachbaracke lagen weit weg. Mein Wentroy-Wächter drehte seine Runde, wie ich hoffte, und an Bord der Tabel hielt ein flöteblasender Matrose Wache. Die See sog und gurgelte um die verankerten Schiffe und Abfallflöße herum; eine leichte Brise wehte über die Kais, gespenstisch wie Flötentöne.
    Schließlich nahm ich Proviantbeutel und zwei schöne Wassersäcke vom Krankenhaus und schlich mich zu dem nächstliegenden Abfallfloß. Es lag tief im Wasser, tiefer als der Kai. Ich hüpfte hinauf, und das Floß bewegte sich kaum; seine Stämme aus abgelagertem Rotholz waren genauso stabil wie der Kai selbst. Ich kroch zur Mitte des Floßes und vergrub mich unter dem groben Haufen Bara-Stroh. Es war ein gutes Versteck, trocken und bequem. Das Floß roch schlecht, es stank, aber in Itsik war ich daran gewöhnt, so daß ich es kaum bemerkte. Ich pendelte noch dreimal hin und her, und beim letzten Mal schulterte ich Tsorl-U-Tsorl.
    Es war die längste Strecke, die ich mit ihm zurücklegen mußte, und ich schaffte es gerade noch. Ächzend kletterte ich auf das Floß hinunter und zog ihn vom Kai hinab; meine Knie gaben nach, und wir sanken auf das Deck des Floßes. Viel Lärm hatten wir nicht gemacht, aber an Bord der Tabel erklangen Stimmen, Wachablösung. Eine andere Stimme sprach laut in mein Ohr.
    „Wo bin ich …?“
    Tsorl war erwacht und starrte mich mit angst- und zornerfüllten Augen an.
    „Seid still, um Eures Lebens willen!“ flüsterte ich. „Tsorl-U-Tsorl, Ihr seid in Sicherheit. Traut mir!“
    „Wer bist du, beim Feuer?“ Seine Augen funkelten.
    „Was ist das für ein stinkender Abfallhaufen“, fragte er laut genug, um mich in Alarm zu versetzen. „Ruf die Wache, verdammt noch mal, mein Bein brennt wie die Hölle …“
    „Seid bitte still … hört mir zu“, flüsterte ich.
    „Ruf die Wache! Oder soll ich sie selber rufen? Wo bin ich?“
    Die Stimmen auf der Tabel waren noch nicht verstummt, ich befürchtete, daß wir gehört werden könnten.
    „Ihr seid aus Itsik errettet worden!“ Ich kniete mich an seinem Kopf hin und hielt ihn sanft an den Schultern seines Schlafsacks fest.
    „Laß deine Finger von mir!“ sagte er aufgebracht. „Feuer wird die Pentroys vernichten … ach, mein Bein …“
    Er wehrte sich; ich konnte nur eins tun. Ich holte das Einschläferungstuch aus meiner Gefängnistasche und klatschte es auf sein Gesicht. Gwells Arznei übermannte ihn sofort, so daß er sich zwar noch einige Augenblicke wand, dann aber still liegenblieb.
    Als ich den Schlafsack unter den Schutz des Bara-Strohs schleifte, hörte ich eine Stimme vom Schiff: „Nur der Nachtwind, Freund …“
    Ich legte mich in unseren warmen Schlafsack unter dem Stroh und döste vor mich hin, den Kopf nahe genug neben dem des
    Abgesandten, um seinen Atem hören zu können. Ich lauschte dem Geräusch des Wassers unter dem Floß, dem Ächzen und Malmen des Abfalls, dem Herumspringen der Flohrane, der

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