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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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das Licht verschwand, und ich blieb mit der Stimme in zeitloser Leere. Schließlich verstummte auch die Stimme; vielleicht sagte sie Lebewohl; ich war eingeschlafen.
    Ich sah einen blauen Dunst über mir wie einen Sommerhimmel, aber er verwandelte sich rasch in das Dach des blauen Zeltes. Ich hatte rücklings auf einem der langen Stühle geschlafen; die Drahtkappe hatte ich nicht mehr auf; die Lehrmaschine schlief auch. Alle waren im Zelt, um mein Erwachen zu beobachten. Lisa hielt Orangensaft an meine Lippen; Tsorl streckte die Hände fragend aus: „Hast du dich wieder erholt?“
    Ich zwinkerte, um ihn zu beruhigen, und stand von dem Stuhl auf. Ich empfand ein überwältigendes Bedürfnis nach frischer Luft.
    „Möchtest du schlafen?“ fragte Lisa.
    „Nein!“ sagte ich. „Ich gehe aus dem Zelt hinaus.“
    Ich torkelte in den Sonnenschein und holte tief Atem. Ich bemerkte kaum, warum alle mir folgten und in die Hände klatschten, um ihre Freude zu zeigen.
    Täglich setzte ich mich zwei Lageruhrstunden an die Lehrmaschine, und in zwanzig Tagen hatte ich Grundenglisch gelernt. Tsorl büffelte weiter und wagte sich an schwierigere Dinge heran. Er versuchte eine Liste von austauschbaren Klangzeichen, Englisch und Moruianisch, anzufertigen; er sprach das moruianische Wort oder den moruianischen Ausdruck auf ein anderes Sammelband, wenn er glaubte, ein gutes Äquivalent gefunden zu haben. Diese Arbeit faszinierte ihn, aber er klagte oft darüber, daß sie nicht exakt sei. Viele Übersetzungen moruianischer Wörter, besonders derjenigen, die die traditionelle Lebensweise, unsere „alten Fäden“, betrafen, sind geklärt und als das, was dem richtigen Sinn am nächsten kommt, gutgeheißen worden.
    Allmählich konnte ich mit den Menschen sprechen und verstehen, was sie zu mir sagten. Aber wir sprachen nicht oft genug miteinander oder wechselten nicht oft genug gegenseitig Wörter. Es waren lange Ferien, eine Traumzeit; einmal segelte ich mit Karin um die Insel herum; ein andermal führte ich Sam und Lisa auf den Zentralberg. Wir tauschten Lieder, Spiele, Witze aus; wir badeten und sammelten Samen oder trockneten Blätter für Karins „Trockengarten“-Mappe.
    Tsorl und ich konnten das Wenige weitererzählen, das wir von Scott Gale wußten; er kam oft in den Gedanken der Menschen vor. Sein Musikinstrument hing stumm an der Wand seiner Schlafstelle in dem blauen Zelt. Es war eine Gitarre aus Holz, ein Zwischending zwischen einer Harfe und einer Leier. Er war der Sänger unter ihnen gewesen, und seine Lieblingsweisen waren sehr alte Lieder von der Erde. Wir sprachen zu seinen Freunden in Tönen behutsamer Hoffnung, aber in Wirklichkeit war Tsorl gar nicht so hoffnungsvoll.
    „Scott Gale hat sich nicht versteckt gehalten“, sagte er zu mir, „aber vielleicht war das richtig. Halb Torin muß über seine Existenz Bescheid wissen … zwangsläufig wird er dem Großen Ältesten früher oder später begegnen.“
    „Was würde dann mit ihm geschehen? Was sollte Tiath Gargan von einem Menschen wollen?“
    „Das, was er immer will … Macht!“ antwortete Tsorl-U-Tsorl. „Macht, um seinen Willen durchzusetzen, Macht, um alles auf Torin zu beherrschen und sich zu unterwerfen. Tiath würde, wenn er könnte, die Winde selbst unterjochen. Telve sei angefleht, daß Scott Gale nicht in seine Netze gerät!“

 
2
     
    Sam Fletcher war der Leiter der Menschen, und auf seine Art war er ein beherrschender Geist. Er war heiter und aufbrausend; er schrie so laut, daß ich mir die Ohren zuhalten mußte, und drängte uns alle mit „Kommt schon voran!“ oder „Aufstehen und Strahlen!“ So erhielt er den Namen Sam-Deg, und ich erklärte die Bedeutung davon, so gut ich konnte. Er sei Sam-der-anderen-sagt-was-sie-tun-sollen und Sam-der-schon-wieder-wütend-ist, aber auch Sam-den-wir-gern-haben und Sam-für-den-wir-unser-möglichstes-tun.
    Hinter seiner Ungehaltenheit steckt jedoch ein echter Führer, eine ernste und entschlossene Persönlichkeit. Deshalb fand nie ein richtiger Gedankenaustausch zwischen Sam und Tsorl-U-Tsorl statt, denn der Abgesandte konnte nicht von seinen Mißgeschicken erzählen oder diesem anderen Führer Vorschläge machen. Wenn Sam ihn befragte, wich er aus und tat so, als verstünde es nicht. Es gelang ihnen recht gut, über wissenschaftliche Dinge zu reden, und Tsorl bemühte sich, in Tagen die ganze sich in Jahren angesammelte Weisheit der Erde zu begreifen. Er beobachtete und rechnete und hörte zu, bis ihm

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