Das Feuer des Daemons
Offenbar gefiel es ihr nicht, dass ihr die Vampyre Angst eingejagt hatten. Da sie außerdem offenbar die Gabe besaß, seine Gegenwart zu spüren, beschloss er, sich doch nicht zu materialisieren. Lieber wollte er sich ansehen, wie sie mit dem fertigwurde, was da auf ihrer Türschwelle wartete.
Grace spürte Khalil hinter sich aufragen, als sie durch die feinen Maschen der Fliegengittertür zu den beiden Vampyren auf ihrer Veranda hinausspähte. Heute Morgen auf der Wiese war so viel konzentrierte magische Energie von so vielen Wesen versammelt gewesen, dass Grace kaum hatte auseinanderhalten können, welche Energie zu wem gehörte. Sie hatte sich von einer konturlosen Hitze umgeben gefühlt, als wäre sie im Mittelpunkt einer Sonneneruption gewesen.
Jetzt fiel es ihr nicht schwer, die intensive magische Macht wahrzunehmen, die diese beiden Vampyre in sich trugen. Sie hatte zwei Katastrophen direkt vor der Nase und ein Verhängnis im Nacken, und das war Grund genug, dass ihr der Mund trocken wurde und ihr Herz raste.
»Was wollen Sie?«, fragte sie den König der Nachtwesen.
Na hör mal einer an,
dachte sie,
ich klinge ganz schön unhöflich, was? Kaum habe ich einen Dschinn als Waffe, verliere ich meine Manieren.
Julian Regillus sah sie mit seinen dunklen Augen an. Durch die Fliegengittertür hindurch spürte sie die Anziehungskraft seines Blicks. »Ich möchte natürlich mit dem Orakel sprechen.«
Die Stimme des Nachtwesenkönigs klang tief und rau wie ein Schluck Rohwhisky. Seinen Umhang hatte er in der warmen Sommernacht geöffnet, und darunter trug er ein schlichtes schwarzes Hemd und eine schwarze Hose. Er hatte eine breite Brust- und Schulterpartie, einen flachen Bauch und überall kräftige Muskeln. Aus der Nähe erkannte Grace, dass er sich in seinem sterblichen Leben nicht besonders gut gehalten hatte. Er sah aus, als wäre er bei seiner Verwandlung Ende vierzig gewesen, in Wirklichkeit also vermutlich Mitte dreißig. Seine groben Züge waren wettergegerbt, die Augen und der strenge Mund von Falten umgeben. Obwohl er das Haar militärisch kurz geschnitten trug, vermittelte er irgendwie den Eindruck eines zottigen Wolfs, der jede ihrer Bewegungen verfolgte.
Im Gegensatz zu seinem König wirkte der Killer neben ihm beinahe schmal. Del Torro hatte einen langen, schlanken Körper, in dem sich die Kraft und Schnelligkeit einer Peitschenschnur verbargen. Xavier del Torro sah aus, als wäre er mit Anfang oder Mitte zwanzig verwandelt worden, und konnte noch immer die Illusion von Jugendlichkeit verkörpern. Seine Augenfarbe lag irgendwo zwischen Grau und Grün, er hatte reine Haut und fein geschnittene Gesichtszüge, die allerdings weder attraktiv noch zart wirkten.
Del Torros Verwandlung war ein berühmtes geschichtliches Ereignis gewesen. Als jüngerer Sohn einer spanischen Adelsfamilie hatte er als Priester gelebt, bis das Tribunal des Heiligen Offiziums der Inquisition in der Nähe seiner Heimat Valencia eine Gemeinde friedlicher Vampyre folterte und vernichtete. Zu dieser Gemeinde hatten auch del Torros ältere Schwester und ihr Mann gehört. Nach diesem Massaker wandte sich del Torro von der katholischen Kirche ab, um sich Julian anzuschließen, der ihn in einen Vampyr verwandelte und ihm auftrug, eine Schneise der Vernichtung in die Offizien der Inquisition zu schlagen. Die folgende Dekade gehörte zu den blutigsten in der Geschichte Spaniens.
Auch wenn Grace theoretisch nichts dagegen einzuwenden hatte, dass jemand sich die Heilige Inquisition vorknöpfte, also … puh.
Sie wandte sich wieder an Julian. »Worüber möchten Sie sprechen?«
Del Torro, der bis dahin eingehend die Fassade des Hauses studiert hatte, schenkte Grace nun ein freundliches Lächeln. »Ist das Ihre Art, Fremden an diesem Ort Zuflucht zu gewähren?«
»Sie sind reich und mächtig«, erwiderte sie. »Sie brauchen keine Zuflucht. Was Sie brauchen, ist eine Luxushotelsuite in der Innenstadt. Und Sie haben Ihr Recht auf Zuflucht heute Morgen verwirkt, als Ihre Freundin auf meinem Grund und Boden ein Schwert gezogen hat.«
Hinter ihr loderte Khalils Gegenwart überrascht auf. Offenbar hatte er nicht gewusst, was vorgefallen war. Seine Aufmerksamkeit musste sich ganz auf das Haus konzentriert haben. Er schlang sich enger um sie.
Julian machte eine scharfe, ruckartige Bewegung, und das gelassene Lächeln schwand von del Torros Gesicht. »Wir haben nicht gewusst, dass sie bewaffnet war, und auch nicht, was sie vorhatte«, sagte
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