Das Feuer des Daemons
weinen, und manchmal zog sich Chloe in sich selbst zurück und wollte nicht mehr sprechen. Es brach Grace immer das Herz, sie so zu sehen.
Draußen knackte etwas. Sie fuhr im Bett hoch und riss die Gardinen zur Seite, um in die Nacht hinauszustarren. Ihr Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren.
– ein Schwert gezogen –
– Vampyre kamen ihre Auffahrt herauf –
Das Töten. Mit Krallen, so lang wie Krummsäbel, hatte das goldene Monster, das aus Rune geworden war, den Leib der Vampyrin aufgeschlitzt. Für einen Moment war alles in ihrer Nähe mit leuchtend roter Flüssigkeit bespritzt gewesen. Dann waren die blonde Vampyrin und ihr Blut zu Staub zerfallen, und Grace hatte nur noch auf die leere Stelle starren können, an der die Frau gestanden hatte.
Direkt vor ihrem Fenster kam ein Waschbär aus dem Gebüsch zwischen den Bäumen hervorgewatschelt, gefolgt von drei halbwüchsigen Jungtieren. Zitternd ließ sie die Luft aus ihrer Lunge entweichen, als sie die Tiere über den Rasen marschieren sah. Grace kannte das Ziel der Waschbären. Sie wollten die Mülltonnen neben der Garage inspizieren. Wenn man auf einem zwei Hektar großen Grundstück lebte, hatte man es mit reichlich starrsinnigen wilden Tieren zu tun. Genau wie der Rest ihrer Familie es getan hatte, verschloss auch Grace die Mülltonnen mit einem Bügel. Aber die Waschbären hatten die Hoffnung nie aufgegeben.
Sie ließ die Gardine los und legte sich die Hand auf die Stirn. Dann ballte sie die Hand fest zur Faust.
Reiß dich verdammt noch mal zusammen,
schalt sie sich.
Okay. Aber wie?
Tritt dem Problem direkt entgegen. Und löse es.
Sie hievte sich vom Bett hoch, humpelte zum Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Dann verfasste sie einen Entwurf für eine E-Mail, in der sie ihr Problem schilderte. An wen sollte sie dieses Schreiben schicken? An Isalynn LeFevre? Als gewähltes Oberhaupt des Hexenreichs und U . S.-Senatorin gehörte sie zu den mächtigsten Abgeordneten in den Vereinigten Staaten. Oder sollte sie die E-Mail an das Tribunal der Alten Völker senden, zu Händen von Ratsmitglied Archer Harrow? Die meisten Räte des Tribunals waren selbst vor Ort gewesen, als der Frieden des Zufluchtsorts gebrochen wurde; sie wussten längst über den Vorfall Bescheid.
Grace lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und starrte auf den Bildschirm. Die Uhr des Computers zeigte null Uhr siebzehn an. Es stand ihr nicht zu, irgendjemandem nach Mitternacht E-Mails zu schicken, von mächtigen und gebildeten Gesetzgebern ganz zu schweigen. Langsam klickte sie auf die Schaltfläche, um die E-Mail als Entwurf zu speichern.
Sie musste die Sache überdenken. Sie kannte ihre Fehler. Sie war jung, unerfahren und sich der Tatsache bewusst, dass sie ein impulsgesteuerter Hitzkopf war. Wenn sie Katholikin wäre, sollte sie sich wohl dauerhaft in einem Beichtstuhl niederlassen. Es war nicht nötig, das alles in einen Brief zu klatschen und dann zu veröffentlichen.
Und davon abgesehen – was wollte sie eigentlich erreichen? Diese uralten, tödlichen Geschöpfe im Tribunal der Alten Völker führten ein Leben, das um vieles brutaler war, als Grace es auch nur ahnen konnte. Das Leben dieser Wesen war für die große Leinwand bestimmt, ihre Dramen spielten auf der Bühne der Welt. Politische Beziehungen zwischen den Alten Reichen, Staatsverträge und Allianzen, alter Groll und Verrat, das Wahren des Friedens und das Führen von Kriegen. Und manchmal auch Mord.
Da gab es also eine Verletzung des geschützten Zufluchtsorts. Es war ein einziger Vorfall in den mehr als hundertfünfzig Jahren, die ihre Familie nun auf diesem Grundstück lebte. Als Verbrechensstatistik war ein Einzelfall nicht sonderlich überzeugend. Vor ihrem geistigen Auge musste ein Ratsmitglied beim Lesen ihrer E-Mail herzhaft gähnen.
Wenn Grace etwas sagte, musste sie ernst genommen werden, nicht abgewiesen oder an den Rand gedrängt – oder zumindest nicht noch weiter an den Rand gedrängt, als es beim Orakel ohnehin schon der Fall war.
Außerdem würde ein neues Gesetz nicht die Bohne ändern.
Wenn ihr der rechtliche Rahmen also keine echte Lösung für ihr Problem bieten konnte, musste sie selbst eine finden.
Was sie wirklich wollte, war, die Kinder in Sicherheit zu wissen und bei Bedarf jemanden zu ihrem Schutz zu haben. Wenn sie nur genügend Geld hätte, könnte sie einen Leibwächter oder einen Sicherheitsdienst engagieren, jemanden, der über so große magische Kräfte verfügte, dass
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