Das Feuer des Daemons
Sie versuchte zu schreien, aber sie hatte keine eigene Stimme und ertrank in Schweigen; währenddessen erklangen die rhythmischen Worte, unter deren Trommeln die Welt aufhörte zu existieren.
Sterne.
Zwei alterslose, leuchtende Sterne, gekrönt von rabenschwarzem Haar und umgeben von einer Korona aus Sonnenlicht. Die reinste magische Energie, die sie je gesehen hatte, hüllte sie heiß und stürmisch ein, und endlich, endlich war die dunkle, erbarmungslose Stimme ausgelöscht. Vor Erleichterung hätte sie schluchzen können.
Die Welt geriet ins Schwanken. Nach und nach wurde ihr bewusst, dass sie auf dem Boden lag und zu Khalil aufblickte, der sich über sie beugte. Er hielt sie in den Armen und blendete mit seinem Körper das Sonnenlicht aus, so wie er mit seiner Gegenwart die Stimme ausblendete. Er schüttelte Grace und sagte ihren Namen. Wieder und wieder musste er ihren Namen gerufen haben. Auf der anderen Seite kniete Cuelebre neben ihr und starrte sie an. Seine grob gehauenen Züge wirkten blutleer, die goldenen Augen wie geschmolzen.
»Hör auf«, krächzte sie Khalil an. »Ich bin hier, ich bin wieder da.«
Er hörte auf und blickte sie mit wirrem Blick an.
»Was für eine unheilige Scheiße war denn das?«, fragte Cuelebre. Er klang sehr ruhig und äußerst beängstigend.
Grace schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. »Ich weiß nur, dass sich die Kraft des Orakels für Sie erhoben hat, und so etwas passiert nie. Nicht unmaskiert und bei Tageslicht.« Sie zitterte. »Haben Sie eine … wirklich schreckliche Stimme gehört?« Khalil nahm sie fester in die Arme, und die Männer wechselten einen Blick.
»Wir haben sie beide gehört«, sagte der Drache.
»Ich war bei den Kindern in der Küche«, sagte Khalil. In diesem Augenblick klang seine Stimme nicht klar, sondern rau und erschüttert. »Und habe es trotzdem gehört.«
Grace schnappte nach Luft. »Die Kleinen aber nicht, oder?«
Khalil schüttelte den Kopf. »Sie haben nichts mitbekommen.«
Cuelebre sah Khalil an. »Ich muss zurück zu meiner Gefährtin. Bleiben Sie hier?«
»Ja«, sagte Khalil.
Cuelebre griff in seine Hemdtasche und reichte Grace eine schwere, weiße Karte. Sie wendete sie in den Händen, um sie von beiden Seiten zu betrachten. Es stand kein Name darauf, nur eine Telefonnummer in schweren, eingeprägten, schwarzen Ziffern. Cuelebre sagte: »Das ist meine private Handynummer. Rufen Sie mich unverzüglich an, wenn Sie noch etwas sehen.«
Wie betäubt nickte Grace und steckte die Karte in die Tasche ihrer abgeschnittenen Shorts.
Grace und Khalil sahen Cuelebre nach, als dieser aufstand und ohne ein weiteres Wort davonging. Nach einigen Schritten überlief ihn ein Schimmer; er nahm seine Drachengestalt an und erhob sich in die Luft.
Wieder erschauerte Grace. Sie flüsterte: »Ich darf niemals zulassen, dass die Kraft auf Chloe übergeht. Etwas so Entsetzliches wie diese Stimme darf ihr nie begegnen.«
Khalils Blick wirkte noch wirrer, wenn das überhaupt möglich war. Er hob Grace auf seine Arme, stand auf und trug sie mit langen, flinken Schritten ins Haus. »So sei es. Wir werden das Kind mit allen Mitteln davor beschützen, was es auch war.«
Als sie im Wohnzimmer ankamen, sagte Grace: »Halt.«
Sofort blieb er stehen.
»Setz mich bitte ab«, sagte sie.
Er rührte sich nicht. Stattdessen sagte er langsam: »Du bist hingefallen.«
»Mir ist nichts passiert«, erklärte sie ihm. »Ich habe nur während der Vision das Gleichgewicht verloren. Und ich will den Kindern keine Angst einjagen, aber wenn du mich trägst, sieht es so aus, als wäre etwas nicht in Ordnung.«
Er starrte sie an, die Lippen zusammengepresst. Einen Augenblick später ließ er ihre Beine zu Boden gleiten, hielt sie jedoch immer noch in den Armen. Als sie sich aufrichtete und versuchte, sich von ihm loszumachen, gab er sie frei und folgte ihr in die Küche.
Sie fanden Chloe auf Händen und Knien vor. In einem See aus weißer Flüssigkeit lag ein Milchkanister auf dem Boden. Der Deckel war abgeschraubt und der Kanister fast leer. Beim Abendessen am Vortag war er noch so gut wie voll gewesen. Überall lagen Haufen vollgesogener Papiertücher herum.
Grace blieb so abrupt stehen, dass Khalil in sie hineinlief. Er packte sie an den Schultern, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor.
»Oh Chloe«, sagte Grace. »Das war unser einziger Kanister Milch.«
Mit großen Augen blickte Chloe auf. »Ich war das nicht. Das war schon so!«
Max
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