Das Feuer des Daemons
rollte aber zum Glück an den Rand des Tankstellenparkplatzes, wo Grace ihn später leicht wiederfand, als sie zurückkam, um ihn zu suchen.
Außerdem fiel es ihr schwer, über das nachzudenken, was auf der Wiese hinter dem Haus geschehen war, aber sie zwang sich zur Konzentration. Sie hatte sich durch ihre ungestüme Art in Gefahr gebracht und konnte es sich nicht leisten, noch einmal so leichtfertig zu sein. Während die Kinder schliefen, konzentrierte sie sich auf die mentalen Übungen, die sie von ihrer Großmutter gelernt hatte. Vorsichtig rief sie die Kraft des Orakels zu sich, und als sie sie wieder losließ, tat sie es langsam und kontrolliert.
Nachdem sie die Übungen einige Male durchgeführt hatte, konnte sie die Kraft zu jeder Tages- und Nachtzeit herbeirufen, ganz egal, an welchem Ort. Grace würde nie vergessen, wie gefährlich diese Kraft sein konnte, aber jetzt konnte sie ganz anders mit ihr umgehen als bei diesem ersten Mal, das so wild und stürmisch verlaufen war. Die Kraft versuchte nicht mehr, vor Grace zurückzuweichen oder sich gewaltsam ihrer Kontrolle zu entziehen.
Am frühen Morgen brachte sie über eine Stunde damit zu, vorsichtig nach Anhaltspunkten dafür zu suchen, dass dieser seltsame Geist weiterhin Einfluss auf die Kraft ausübte. Doch offenbar hatte die Schlangenfrau wirklich aufgegeben, denn sie war nirgends zu entdecken. Je länger Grace mit der Kraft arbeitete, desto bereitwilliger kam sie zu ihr. Wenn sie jetzt noch herausfinden könnte, was das alles zu bedeuten hatte … aber das konnte Jahre oder sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Sie gab Chloe das stumme Versprechen, so hart sie konnte daran zu arbeiten, damit die Kraft unwiderruflich zu ihr gehörte. Wenn Grace starb, wollte sie die Kraft mit ins Grab nehmen, ob diese nun unsterblich war oder nicht. Denn dann hätten Chloe und alle anderen weiblichen Nachkommen, die Grace vielleicht haben würde, wirklich die Freiheit, ihr Schicksal selbst zu wählen und zu erkunden.
Das war Grace’ Schicksal. Zum ersten Mal in ihrem Leben, einschließlich ihrer Zeit am College, nahm sie etwas von ganzem Herzen an.
Als Khalil am Mittwochabend auftauchte, um Chloe die versprochene Geschichte vorzulesen, glaubte Grace begriffen zu haben, was zwischen ihnen vorgefallen war.
Sie glaubte, dass man manchmal zu verletzt sein konnte, um Trost anzunehmen. Vielleicht hatte sie durch ihre Umarmung etwas in ihm berührt, das keine Berührungen ertrug. Wenn das der Fall war, wusste sie nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Es schien ihr nicht ganz das Richtige zu sein, sich zu entschuldigen oder ihn darauf anzusprechen; aber einfach zu schweigen kam ihr auch merkwürdig vor. Sie hatte das Gefühl, hilflos auf dem Meer zu treiben und sich nicht entscheiden zu können, wie sie sich fortbewegen sollte.
Khalil kam erst nach dem Abendessen. Bis dahin war Grace bereits völlig verkrampft. Sie und Chloe waren gerade dabei, die Spielsachen vom Tag einzusammeln und in der Spielzeugkiste im Wohnzimmer zu verstauen. Max stand vor dem Couchtisch und hielt sich an der Kante fest, während er auf seinen Plastikspielzeugschlüsseln herumkaute. Er zahnte und war geradezu versessen darauf, auf allem herumzukauen, was ihm in die Finger kam.
Khalil erschien völlig lautlos, doch Grace konnte seine Ankunft in ihrem Rücken spüren. Ihr Puls stieg schlagartig an. Tief verstrickt in Freude, Unsicherheit, Unbehagen und Verwirrung, drehte sie sich zu ihm um.
Huch. Er wirkte größer, wenn man ihn einen Tag lang nicht gesehen hatte.
Mit verschränkten Armen stand er vor ihr. Er trug schlichtes Schwarz. Zwar hatte sie ihn auch in anderen Farben gesehen, aber Schwarz schien seine Standardfarbe zu sein, wenn er körperliche Gestalt annahm. Das Haar trug er wieder zurückgebunden, und in seinen blassen, eleganten Zügen lag ein verschlossener Ausdruck. Seine Energie behielt er mit strenger Selbstbeherrschung fest im Griff. Bei seinem Anblick hatte Grace das Gefühl, ungebremst gegen eine Wand zu laufen.
Chloe, die von den unterschwelligen Spannungen im Raum nichts mitbekam, sprang auf ihn zu und streckte die Arme nach ihm aus. Er schenkte dem Mädchen ein schwaches Lächeln und nahm es auf den Arm. »Bei welcher Geschichte darf ich dir heute assistieren?«
»Der furchtbare, total blöde Tag!«, sagte sie.
»Eine ausgezeichnete Wahl«, sagte er. »Das hätte ich auch ausgesucht.«
Er trug Chloe zum Bücherschrank, und sie nahm das Buch heraus. Dann ließen sich
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