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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Aufmerksamkeit ganz leicht, und ihre Verlockung beinah unwiderstehlich ist.«
    Die alten Seher, sagte er, hätten - als wahre Meister der Bewußtheit - ihr Wissen auf ihre eigene Glut der Bewußtheit angewandt und diese ins Unermeßliche anwachsen lassen. Sie hätten das Ziel verfolgt, alle Emanationen ihres Kokon, ein Band um das andere, aufleuchten zu lassen. Dies sei ihnen auch gelungen, aber seltsamerweise habe ihr Erfolg, jeweils ein Band aufstrahlen zu lassen, sie im bodenlosen Sumpf der zweiten Aufmerksamkeit steckenbleiben lassen.
    »Die neuen Seher korrigierten diesen Irrtum«, fuhr er fort, »und sie trieben die Beherrschung des Bewußtseins bis ins Extrem und ließen die Glut der Bewußtheit auf einen Schlag über die Grenzen des leuchtenden Kokon hinausgreifen.
    Die dritte Aufmerksamkeit ist erreicht, wenn sich die Glut der Bewußtheit in das Feuer von innen verwandelt - eine Glut, die nicht nur jeweils ein Band entzündet, sondern gleichzeitig alle Emanationen des Adlers im Innern des menschlichen Kokon.«
    Don Juan äußerte seinen Respekt vor dieser selbstbewußten Tat der neuen Seher - dem Eintritt in die dritte Aufmerksamkeit schon bei Lebzeiten und im Bewußtsein der eigenen Individualität. Er fand es nicht der Mühe wert, über jene Fälle zu sprechen, da Menschen oder andere Lebewesen zufällig, und ohne sich dessen bewußt zu sein, in das Unbekannte und in das Unerkennbare eintreten. Er bezeichnete dies als die Gabe des Adlers. Auch für die Seher, so betonte er, sei es ein Geschenk, in die dritte Aufmerksamkeit einzutreten, doch für sie habe dies eine andere Bedeutung. Es sei eher so etwas wie eine Belohnung für eine vollbrachte Leistung.
    Im Augenblick des Sterbens, fügte er hinzu, würden alle Menschen in das Unerkennbare eintreten, und manche von ihnen sogar die dritte Aufmerksamkeit erreichen - doch immer nur kurze Momente, und nur, um sich als Nahrung für den Adler zu reinigen.
    »Es ist die höchste Vollendung des Menschen«, sagte er, »diese Stufe der Aufmerksamkeit zu erreichen, während er noch die Kraft des Lebens hat, und ohne sich in ein körperloses Bewußtsein zu verwandeln, das wie ein Lichtflimmern zum Schnabel des Adlers aufschwebt, um verschlungen zu werden.«
    Während ich Don Juans Erklärung lauschte, hatte ich wieder alles um mich her aus dem Blick verloren. Genaro war anscheinend aufgestanden und fortgegangen, jedenfalls war er nirgends zu sehen. Seltsamerweise stellte ich fest, daß ich nun selbst auf der Steinplatte kauerte, während Don Juan, der neben mir hockte, mich mit leichtem Druck auf die Schulter niederhielt. Ich streckte mich auf dem Stein aus und schloß die Augen. Von Westen her wehte eine sanfte Brise.
    »Schlaf nicht ein«, sagte Don Juan. »Um keinen Preis darfst du auf diesem Felsen einschlafen.« Ich richtete mich auf. Don Juan starrte mich an. »Entspanne dich einfach«, sagte er. »Laß den inneren Dialog absterben.«
    Unter Aufbietung all meiner Konzentration versuchte ich zu befolgen, was er gesagt hatte, als mich plötzlich schlotternde Angst befiel. Anfangs wußte ich nicht, was es war; ich glaubte, ich hätte schon wieder einen Anfall von Mißtrauen. Dann aber wurde mir blitzartig klar, daß bereits später Nachmittag war. Was mir wie eine Stunde des Gesprächs erschienen war, hatte den ganzen Tag lang gedauert. Gepackt von diesem Widersinn, sprang ich auf, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, was mit mir passiert sei. Ich empfand ein sonderbares Gefühl, als hätte mein Körper das Bedürfnis, drauflos zurennen. Don Juan sprang auf und hielt mich mit aller Macht zurück. Wir stürzten beide auf die weiche Erde hinunter, und dort hielt er mich mit eisernem Griff fest. Ich hatte nicht geahnt, daß Don Juan so kräftig sei.
    Mein Körper zitterte heftig. Meine bebenden Arme schlugen in alle Richtungen aus. Ich hatte so etwas wie einen epileptischen Anfall. Und doch war etwas in mir so unbeteiligt, daß ich fasziniert beobachten konnte, wie mein Körper zitterte, sich verrenkte und verkrampfte.
    Endlich ließen die Krämpfe nach. Don Juan gab mich frei. Er keuchte vor Anstrengung. Er schlug vor, wir sollten wieder auf den Felsen klettern und dort sitzenbleiben, bis ich wieder in Ordnung wäre.
    Ich mußte ihn natürlich wieder mit meiner üblichen Frage bestürmen: Was war mit mir geschehen? Er antwortete, ich sei, während er zu mir sprach, über eine gewisse Grenze hinausgeschossen und sehr tief in die linke Seite hineingelangt. Er

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