Das Feuer von Konstantinopel
eilig. Er wusste, dass die Stimme so lange nach ihm rufen würde, bis er endlich vom Dach stieg, hinab in die schmutzigen, engen Gassen.
„Baptist!“, ertönte es erneut, diesmal noch unheimlicher als zuvor.
Die Kartoffel war verspeist und Baptist wischte sich die Hände an seiner Hose sauber. So eine gute Hose hatte er in seinem ganzen Leben noch nie besessen. Wenn er schreiben könnte, würde er Frau von Flocke einen Brief schreiben. Darin würde er sich für die Hose und die Honigbrote bedanken. Aber selbst wenn er schreiben könnte, woher sollte er das Papier nehmen, den Stift, den Umschlag, die Briefmarke?
„Baptist! Hierher!“, donnerte die Stimme jetzt. Und sie fuhr fort: „Er spricht mit Zungen, vom Feuer zerteilt, er spricht mit den Seligen und den Engeln im Himmel...! – Kommt, Leute, kommt!“
Baptist warf noch einen letzten Blick auf die feuerrote Sonne, dann machte er sich auf den Weg. Er musste der Stimme folgen. Denn auf diese Weise arbeitete er für Gott.
Sieben Tage und sieben Nächte war Felix jetzt schon in der Gefängniszelle, die zu einer Polizeistation gehörte. Die Polizisten kümmerten sich kaum um den Jungen, aber immerhin gab es Essen und Trinken. Jeden Tag bekam er das Gleiche zu hören:
„Wenn du deinen richtigen Namen nicht nennst, sagst wo du wohnst, keiner kommt um dich abzuholen, wirst du ins Waisenhaus gesperrt. So einfach ist das. Hier kannst du jedenfalls nicht ewig bleiben!“ Ratlos setzten sie noch hinzu: „Ein Gefängnis ist doch nichts für einen Jungen in deinem Alter.“
Natürlich kam keiner, um ihn zu holen. Wer auch? Weder die Eltern, noch Fräulein Romitschka, noch irgendjemand, der ihn kannte, ahnte, dass Felix eingesperrt war. Vielleicht dachten sie, er sei in den Flammen umgekommen, wenn sie selbst überhaupt noch lebten. Aber Felix wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Er musste hier heraus, egal wie.
Seine kleine Zelle befand sich im Keller und das Fenster war vergittert. Vor dem Fenster lag ein weitläufiger Hof, durch den ab und zu Polizisten schritten. Aus den angrenzenden Ställen hörte er das Wiehern der Polizeipferde und außerdem besuchte ihn fast jeden Abend ein Igel, der aber nur kurz blieb um dann unter kleinen Schnaufern weiterzuwandern, die Nase immer am Boden, auf der Suche nach Essbarem. Felix freute sich über den Besuch und belohnte den Igel manchmal mit einem Stückchen Käse.
Mehrmals am Tag trat er an das offene Gitterfenster, um mit voller Kraft den Familienpfiff der Flockes auszustoßen. Er hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, ob das etwas helfen würde, aber es blieb für ihn die einzige Möglichkeit, etwas zu tun. Der Familienpfiff hallte dann durch den Hof und der Schall trug ihn weiter. Das jedenfalls war Felix’ große Hoffnung. Gelegentlich kam es auch vor, dass ein Witzbold zurück pfiff. Mehr passierte erstmal nicht.
Eines Tages aber hörte Felix eine vertraute Stimme vor dem Fenster.
„Beim Emir von Izmir, wer liegt denn da faul im Bett?“
Augenblicklich schoss Felix von seiner Pritsche hoch. Er konnte sein Glück nicht fassen.
„Suleika! Du weiser Vogel, wie hast du mich gefunden? Du hast alle Sonnenblumenkerne von Büyükçekmece verdient...!“, rief er überglücklich aus.
Die Krähe hüpfte vor dem Fenster auf und ab.
„Schrei’ noch lauter, dann sperren sie mich auch ein!“, schimpfte sie in ihrer vertrauten Missmutigkeit. „Deine Pfeiferei kannst du dir sparen. Hört ja doch keiner!“
„Du hast sie gehört. Ich wusste es. – Was ist passiert, Suleika?“, wollte Felix wissen.
Die Krähe schien sich in ihrer Überlegenheit zu gefallen. Und sie legte wie ein Wasserfall los:
„Habe ich dir nicht gepredigt, du sollst die Lumpen nicht anziehen? Habe ich nicht gewusst, dass sie dir Unglück bringen? Habe ich dich nicht gewarnt? Jetzt ist es zu spät. Jetzt kannst du sie nicht mehr ausziehen. Jetzt sind sie alles was du hast.“
Felix zeigte Reue.
„Du hast ja Recht. Das alles war ein entsetzlicher Fehler. Aber jetzt erzähl’: Was ist mit dem Haus in der Pappelallee passiert?“
Der Vogel schüttelte sein Gefieder.
„Das Feuer hat alles vernichtet!“, flüsterte Suleika heiser.
„Was ist mit den anderen?“, fragte Felix traurig.
„Ich weiß es nicht. Ich bin ein paar Mal über das Grundstück geflogen. Es war nur noch Asche unter mir.“
Das Herz von Felix krampfte sich zusammen. Er warf sich zurück auf die Pritsche und weinte bitterlich.
„Felix...!“, rief Suleika mit
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